Selbständiges Beweisverfahren.

Graf Johannes Patientenanwälte Freiburg.

In den letzten Jahren häufen sich obergerichtliche Entscheidungen und Beiträge zur Zulässigkeit von selbständigen Beweisverfahren. Insbesondere der Beschluss des OLG Frankfurt vom 16.11.2015 - 3 W 41/15 und der Beschluss des BGH vom 24.09.2013 - VI ZB 12/13 geben Anlass, die Anwendung des selbständigen Beweisverfahrens im Personenversicherungsrecht in einem neuen Licht zu prüfen. Der Beitrag des Verfassers möchte die bisherige Ent-wicklung zum selbständigen Beweisverfahren im Krankenversicherungsrecht, im Recht der Unfallversicherung und im Recht der Berufsunfähigkeitsversicherung aufzeigen.

Patientenanwälte Michael Graf. Ihre Spezialisten im Personenversicherungsrecht.

A. Selbständiges Beweisverfahren im Krankenversicherungsrecht

1. Die ablehnende Entscheidung des LG Hannover

Im Jahr 2001 entschied das LG Hannover, dass ein selbstständiges Beweisverfahren über die Frage der medizinischen Notwendigkeit einer Heilbehandlung unzulässig sei. Die Parteien stritten dort um die Frage der Leistungspflicht der Antragsgegnerpartei (Krankenversicherung) für einen Kuraufenthalt des Antragstellers (Versicherter) im Juni 2000 sowie für physiotherapeuti-sche Maßnahmen, die der Antragsteller seit Jahren regelmäßig durchführen ließ und auch künftig durchführen lassen wollte. Das LG Hannover entschied, dass die Voraussetzungen von § 485 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO nicht vorlägen. Es bestünde kein rechtliches Interesse des Antragstellers an der Feststellung. Die Antragsgegnerpartei habe durch Vorlage mehrerer Gutachten ihren Standpunkt untermauert, dass sie zu einer Übernahme/Erstattung der Kosten für die von dem Antragsteller eingeleiteten/beabsichtigten Behandlungsmaßnahmen nicht gewillt sei, und zu erkennen gegeben, dass sie auch ein für den Antragstellers "positives" Gutachten nicht akzeptieren würde; ein Rechtsstreit würde laut LG Hannover durch die Einholung des Gutachtens mithin nicht vermieden werden. Zum anderen ginge es laut den Entscheidungsgründen des LG Hannover dem Antragsteller ausweislich der formulierten Beweisfragen gar nicht um die Feststellung und Begutachtung seines Zustands, sondern es ginge ihm um die Klärung der medizinischen Geeignetheit und Notwendigkeit bestimmter Behandlungsmaßnahmen. Hierfür sei das selbstständige Beweisverfahren aber nach dem Fragenkatalog in § 485 Abs. 2 ZPO, der Ausschließlichkeitscharakter habe, weder gedacht noch geeignet; die einseitig von dem Antragsteller vorformulierten Fragen seien - so das LG Hannover - sogar eher geeignet, die Klärung im normalen Erkenntnisverfahren zu stören. Der Antragsteller übersähe, dass die Frage der Kostenerstattungspflicht der Antragsgegnerpartei von einer ganzen Reihe von Voraussetzungen abhänge. Zudem enthalte der Begriff der "Notwendigkeit" im Sinne der Versicherungsbedingungen eine Einschränkung im Sinne eines Wirtschaftlichkeitsgebots. Die Klärung dieser sowie weiterer Fragen der Leistungspflicht der Antragsgegnerpartei könne von einem selbstständigen Beweisverfahren nicht geleistet werden, vielmehr bedürfe es dazu der Schlüssigkeits- und Erheblichkeitsprüfung des normalen Zivilprozesses und der darin vorgesehenen Wege zur Beweiserhebung.

Diese Entscheidung des LG Hannover aus dem Jahre 2001 fand sodann Einzug in die gängige Kommentarliteratur, mit dem Ergebnis, dass seither die Anwendung des selbständigen Beweisverfahrens im Krankenversicherungs-recht zur Frage der medizinischen Notwendigkeit oftmals verneint wurde. 

 

2. Meinungsstreit

Die Meinungen zur Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens, insbesondere im Hinblick auf Fragen bzgl. der Notwendigkeit der Heilbehanldungen, im Krankenversicherungsrecht gehen weit auseinander. 

Rinke stellt hierzu im Jahr 2009 fest, dass die Entscheidung des LG Hannover  in der Kommentarliteratur ohne inhaltliche Diskussion zitiert würde, sodass die Unzulässigkeit des selbstständigen Beweisverfahrens in diesen Fällen in der Praxis als faktisch unbestritten gilt. 

Ein selbständiges Beweisverfahren könne laut einer Entscheidung des OLG Köln aus dem Jahre 2010 jedenfalls zur Feststellung der Erfolgsaussicht einer künstlichen Befruchtung im Rahmen einer privaten Krankenversicherung durchgeführt werden.

Im Gegensatz dazu kommentiert Voit, dass die Feststellung der medizinischen Notwendigkeit einer Behandlung über die Feststellung eines Zustands i. S. d. § 485 Abs. 2 Nr. 1 ZPO stets hinaus gehe, so dass zwar der behandlungsbedürftige Zustand, aber nicht die Notwendigkeit einer bestimmten Heilbehandlung Gegenstand eines selbständigen Beweisverfahrens sein könne.

Wendt stellt hierzu fest, dass die Frage nach der medizinischen Notwendigkeit im selbstständigen Beweisverfahren zwar teilweise zugelassen wird, jedoch von der herrschenden Meinung immer noch abgelehnt würde.

Fricke kommt im Jahr 2013 zu dem Ergebnis, dass ein selbstständiges Beweisverfahren speziell zur Frage der medizinischen Notwendigkeit nicht in Betracht käme.

Einen „Mittelweg“ beschreitet Rogler, denn nach seiner Ansicht sei es stets eine Frage des Einzelfalls, ob nach § 485 Abs. 2 ZPO das selbständige Beweisverfahren für die Klärung der medizinischen Notwendigkeit einer Heilbehandlung zulässig ist.

Treffend fasst Heyers im Jahr 2016 den Streit zusammen, wenn er schreibt, es würde in Rechtsprechung und Literatur bislang völlig unterschiedlich beantwortet werden, ob das selbstständige Beweisverfahren für die Klärung der medizinischen Notwendigkeit einer Heilbehandlung und der Kostenerstattungspflicht der Versicherung zulässig und erfolgversprechend sei. Manche Senate hätten das gänzlich abgelehnt. Andere differenzieren und erwägen eine Entscheidung anhand jedes Einzelfalls. Weitere halten das Beweisverfahren uneingeschränkt für tauglich. 

 

3. Auswirkungen

Heyers setzt sich zu Recht ausführlich (und mit weiteren Nachweisen) mit dem Spannungsfeld der ablehnenden restriktiven Entscheidung des LG Hannover und der befürwortenden Rechtsprechung des BGH zum selbständigen Beweisverfahren im Medizinschadensrecht auseinander. Heyers lässt in seinem Beitrag jedoch offen, ob und inwieweit er die Klärung der medizinischen Notwendigkeit einer Heilbehandlung im selbständigen Beweisverfahren für zulässig hält. Er stellt abschließend fest, dass im selbstständigen Beweisverfahren jedenfalls keine Aussage zu Indikation und Angemessenheit bestimmter Diagnostik und Therapie getroffen werden könne.

Die Unsicherheiten wegen der Zulässigkeit und der Erfolgsaussichten für die Klärung der medizinischen Notwendigkeit einer Heilbehandlung im selbständigen Beweisverfahren sind derzeit also groß.

 

4. Argumente der Befürworter

Jedenfalls Rinke kommt mit ausführlicher Begründung zu dem Ergebnis, dass das LG Hannover zu Unrecht die Anwendung des selbstständigen Beweisverfahrens über die Frage der medizinische Notwendigkeit einer Heilbehandlung ablehne, da es die Regelung des § 485 Abs. 2 ZPO nicht richtig anwenden würde. Rinke befürwortet eindeutig die weite Anwendung des selbständigen Beweisverfahrens im Krankenversicherungsrecht.

Im Jahr 2012 setzte sich Uzunovic wissenschaftlich und sehr ausführlich mit der Frage nach der Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens zur Klärung der medizinischen Notwendigkeit einer Heilbehandlung auseinander. Er prüft in seiner umfangreichen Veröffentlichung zu dem Thema vertieft die Voraussetzungen des § 485 Abs. 2 ZPO und kommt zu dem deutlichen Ergebnis, dass der Versicherungsnehmer die Möglichkeit habe, mit Hilfe eines selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO die medizinische Notwendigkeit der Heilbehandlung gutachterlich feststellen zu lassen. Primäres Ziel dieses selbständigen Beweisverfahrens sei die Vermeidung eines Hauptsacheprozesses durch frühzeitige Sachverhaltsaufklärung. Komme es nicht zu einer Einigung mit dem Versicherer, so wäre laut Uzunovic das Beweisergebnis doch immerhin in einem späteren Erstattungsprozess nach Maßgabe des § 493 Abs. 1 ZPO verwertbar.

Wendt weist darauf hin, dass nach § 485 Abs. 2 ZPO als Beweisthema sowohl der Zustand einer Person als auch der Aufwand der Beseitigung eines Personenschadens für die Zulässigkeit ausreichend ist. So könne es in Einzelfällen durchaus zielführend sein, vor einer geplanten Behandlung, gerade dann, wenn die Parteien sich um die medizinische Notwendigkeit einer bestimmten Maßnahme streiten, sowohl den gesundheitlichen Zustand als auch die Frage einer möglichen Behandlung im selbständigen Beweisverfahren zu klären.

 

5. Aktuelle Rechtsprechung zum Krankenversicherungsrecht

Im Oktober 2015 schloss sich das Amtsgericht Regensburg der Auffassung von Rinke an, indem es im selbständigen Beweisverfahren gegen einen privaten Krankenversicherer mit Beschluss vom 02.10.2015 - 7 H 18/15 die Frage, 

ob die medizinischen Behandlungen (hier: Brustverkleinerung) medizinisch notwendig gewesen sind? und ob die zu großen Brüste bei der Patientin zu körperlichen und seelischen Krankheitszuständen geführt haben? und ob die operativen Maßnahmen und Nachbehandlungen (…) geeignet waren, diese Beschwerden zumindest zu lindern?, 

zuließ.

An dieser Stelle ist nun die in der Einleitung bereits genannte Entscheidung des OLG Frankfurt zu nennen. Dieses entschied Ende des Jahres 2015 im selbständigen Beweisverfahren gegen einen Krankenversicherer, dass die Antragstellerin im Rahmen des selbstständigen Beweisverfahrens durchaus die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu der Frage verlangen könne, 

…ob die medizinischen Behandlungen (…) medizinisch notwendig waren und ob es sich hierbei um wissenschaftlich anerkannte Untersuchungen, Behandlungen bzw. Arzneimittel handeln würde. 

Der dahingehende Antrag sei nach § 485 Abs. 2 Nr. 3 ZPO zulässig, denn hiernach könne auch außerhalb eines anhängigen Rechtsstreits die schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragt werden, wenn die Partei lediglich ein rechtliches Interesse an der Feststellung des für die Beseitigung eines Personenschadens erforderlichen Aufwands habe. Dieser Aufwand entspräche im Rechtsverhältnis zwischen den Parteien den medizinisch notwendigen, wissenschaftlich anerkannten Heilbehandlungskosten. Das rechtliche Interesse der Antragstellerpartei an einer entsprechenden Feststellung folge laut dem OLG Frankfurt eindeutig aus § 485 Abs. 2 Satz 2 ZPO, weil die Klärung dieser Tatsache einen Hauptsacheprozess vermeiden könne.

Dem stünde laut OLG Frankfurt auch nicht entgegen, dass die Parteien zusätz-lich noch um andere Rechtsfragen streiten. Welche Fassung der AVB hier anwendbar sei und ob es für den Erstattungsanspruch der Antragstellerpartei auf die medizinische Notwendigkeit der Aufwendungen ankomme, sei für die Zulässigkeit des selbstständigen Beweisverfahrens ohne Bedeutung, da das Beweisgericht weder die Schlüssigkeit des Anspruchsvorbringens noch die Beweiserheblichkeit oder die Beweisbedürftigkeit der festzustellenden Tatsache zu prüfen habe. 

Das OLG Frankfurt weist an dieser Stelle auf BGH NJW 2004, 3488, auf OLG Brandenburg IBR 2010, 549 sowie auf OLG Jena OLG-NL 2005, 209 hin. Damit müsse auch offen bleiben, ob die begehrte isolierte Beweiserhebung ein Hauptsacheverfahren tatsächlich vermeidet. Das von § 485 Abs. 2 ZPO geforderte Rechtsschutzbedürfnis sei laut OLG Frankfurt (unter Hinweis auf OLG Celle, IBR 2011,1352) weit zu fassen. Es entfalle weder dadurch, dass das selbstständige Beweisverfahren sich nicht auf alle beweisbedürftigen Tatsachen erstrecke, noch durch den Vortrag des Antragsgegners, er sei auch bei Bestätigung der Beweisfrage nicht zur Leistung bereit. Nach dem Wortlaut des Gesetzes („vermieden werden kann") genügt für die Annahme des Rechtsschutzbedürfnisses bereits die bloße (auch nur theoretische) Möglichkeit, dass sich weitere anspruchsbegründende Tatsachen anderweitig klären und der Schuldner seine Leistungsbereitschaft überdenkt.

Die Zulässigkeit von die medizinische Notwendigkeit einiger Behandlungen betreffenden Fragen im Rahmen des selbstständigen Beweisverfahrens wurde in der Folge auch vom Landgericht Freiburg angenommen. Dies ließ unter anderem folgende Fragen zu: 

1. 

Waren die Behandlungen vom (…) und die dabei erfolgten Verordnungen von Heilmitteln medizinisch notwendig?

2.

Waren die (…) verordneten (…) physiotherapeutischen Behandlungen medizinisch notwendig?

Dadurch bestätigt es die bereits vom OLG Frankfurt vorgenommene Annahme, dass ein derartiger Antrag auf Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens gem. § 485 Abs. 2 Nr. 3 zulässig ist. Der Antragsteller habe in derartigen Fällen ein rechtliches Interesse an der Feststellung des Aufwandes für die Beseitigung des Personenschadens. Dieser Aufwand sei mit den medizinisch notwendigen Heilbehandlungskosten gleichzusetzen. 

 

6. Entsprechend anzuwendende Rechtsprechung zum Medizinschadensrecht

Auch die aktuelle Rechtsprechung des BGH und der Obergerichte zum Medizinschadensrecht seit dem Jahr 2013 streitet für dieses Ergebnis.

Im Jahr 2013 hat sich der BGH für eine unbeschränkte Zulässigkeit des selbstständigen Beweisverfahrens nach § 485 Abs. 2 ZPO im Arzthaftungsrecht ausgesprochen, und zwar auch bzgl. der Frage nach dem sog. „groben Behandlungsfehler“. Der BGH hat damit geklärt, dass auch sog. „Zwitterbeweisfragen“ im selbstständigen Beweisverfahren zulässig sind. Das heißt, der BGH bestätigt die Zulässigkeit der Beweisfrage nach dem groben Behandlungsfehler, obwohl diese Frage – ebenso wie die Frage zum ärztlichen Aufklärungsfehler – (a) zum einen eine juristische Bewertung beinhaltet, die zwar an vom medizinischen Sachverständigen ermittelte Tatsachen anknüpfe, jedoch nicht allein dem Sachverständigen überlassen werden dürfe, (b) zum anderen aber grundsätzlich einer gutachterlichen Bewertung als Maßstab bedarf.

Auch der aktuelle Beschluss des OLG Hamburg vom 11.10.2016 - 1 W 68/16 bestätigt, dass sogar die Frage nach der ärztlichen Aufklärung eines Patienten grundsätzlich zulässiger Gegenstand eines selbstständigen Beweisverfahrens sein könne. Zum gleichen Ergebnis kommt aktuell das OLG Nürnberg im Beschluss vom 14. 3. 2017 - 5 W 1043/16.


B. Selbständiges Beweisverfahren im Unfallversicherungsrecht

1. Zulässigkeit

Die grundsätzliche Zulässigkeit eines selbständigen Beweisverfahrens in der privaten Unfallversicherung ist aufgrund der hierzu ergangenen und herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung mittlerweile zu bejahen.

 

2. Beweisfragen

Durchaus praxisrelevant ist eine Entscheidung des LG Augsburg aus dem Jahr 2015. Insbesondere folgende Beweisfragen ließ das LG Augsburg im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens zu:

 

1.

Invalidität? Liegen bei der Antragstellerin folgende unfallchirurgisch, orthopädisch und neurologisch zu bewertende körperliche Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit durch den Unfall vom (…)  vor?: (…)

2.

Liegen darüber hinaus sonstige Beeinträchtigungen (möglicherweise aus einem anderen medizinischen Fachgebiet zu beurteilende) vor? Welche?

3.

Auf Dauer? Bestehen diese Beeinträchtigungen auf nicht absehbare Zeit oder voraussichtlich länger als drei Jahre ab dem Unfall vom (…)  ?

4.

Invalidität nach Gliedertaxe?: Besteht jeweils eine ganze oder eine teilweise Funktionsbeeinträchtigung der in der Gliedertaxe der Versicherung (d.h. Antragsgegnerpartei) genannten Körperteile oder Sinnesorgane? Wenn ja, zu wie viel Prozent sind die jeweiligen Körperteile oder Sinnesorgane in ihrer Funktionsfähigkeit beeinträchtigt?

 

Auch das OLG Nürnberg bewegte sich bereits früh in diese Richtung, indem es nicht nur Fragen nach der Kausalität zuließ, sondern schlichtweg die Frage nach dem Grad der unfallbedingten Invalidität im medizinischen Sachverständigengutachten beantworten ließ. 

Das OLG Karlsruhe entschied aktuell im Februar diesen Jahres, dass im selbständigen Beweisverfahren die Frage des Unfallversicherungsnehmers nach den unfallkausalen dauerhaften Beeinträchtigungen der körperlichen Leistungsfähigkeit (Invalidität) stets zulässig ist, es ließ dabei sogar folgende zusätzlich beantragte weitgehende Beweisfragen zu:

Invalidität für nicht in der Gliedertaxe genannte Körperfunktionen?: Besteht daneben oder gesondert jeweils eine ganze oder eine teilweise Funktionsbeeinträchtigung von nicht in der Gliedertaxe der Versicherung genannten Körperfunktionen? Wenn ja, zu wie viel Prozent führt dies zu einer Beeinträchtigung der normalen körperlichen und/oder geistigen Gesamtleistungsfähigkeit?

 

3. Konkretisierung und Ergänzung der Beweisfragen durch das Gericht

Das OLG Karlsruhe führt aus, dass Inhalt und Grenze eines Beweisthemas im selbständigen Beweisverfahren allein vom Antragsteller bestimmt wird und nicht vom Gericht. Es unterstreicht aber, dass das Gericht dem Rechtsschutzziel des Antragstellers dienen kann, wenn das Gericht unklare oder missverständliche Formulierungen im Beweisbeschluss klarstelle, oder wenn die Formulierung eines Beweisantrags vom Gericht aufgrund von Ausführungen des Antragstellers in seiner Begründung konkretisiert und ergänzt werde. Mithin räumt das OLG Karlsruhe dem Gericht die Befugnis ein, die Beweisfragen des Antragstellers zu optimieren, was aus Sicht des Verfassers als positiv und förderlich angesehen wird.

Wenn und soweit eine vom Gericht verwendete eigenständige Formulierung vom Ziel des Antragstellers abweiche, bleibe jedoch im selbständigen Beweisverfahren - anders als im Hauptverfahren - die Bestimmung und Begrenzung des Beweisthemas durch den Antragsteller maßgeblich (vgl. § 487 Abs. 2 ZPO).

Für die Zulässigkeit des vom Antragsteller konkretisierten Beweisthemas komme es laut OLG Karlsruhe nicht darauf an, ob und inwieweit die vom Antragsteller konkretisierte Beweisfrage für eine spätere Entscheidung des Gerichts über die Höhe eines Anspruchs gegen die Antragsgegnerin im Hauptverfahren entscheidungserheblich sei. Ein rechtliches Interesse (§ 485 Abs. 2 ZPO) für die Klärung des vom Antragsteller vorgegebenen Beweisthemas sei mithin vorhanden. Eine rechtliche Erheblichkeit des Beweisthemas erscheine zumindest nicht von vornherein gänzlich ausgeschlossen. Das Risiko, dass ein vom Antragsteller vorgegebenes Beweisthema sich in einem späteren Hauptverfahren eventuell teilweise als nicht erheblich erweist, liegt grundsätz-lich beim Antragsteller, der den Gegenstand dieses Verfahrens bestimmt.

 

4. Rechtliches Interesse nach § 485 Abs. 2 ZPO im Unfallversicherungsrecht

Der Begriff des rechtlichen Interesses ist auch im Unfallversicherungsrecht weit zu fassen. Dem Gericht ist es grundsätzlich verwehrt, bereits im Rahmen des selbständigen Beweisverfahrens eine Schlüssigkeits- oder Erheblichkeitsprüfung vorzunehmen. Ein rechtliches Interesse kann nur dann verneint werden, wenn ein Rechtsverhältnis, ein möglicher Prozessgegner oder ein Anspruch nicht ersichtlich ist. Dabei kann es sich aber nur um eindeutige Fälle handeln, in denen evident ist, dass der behauptete Anspruch keinesfalls bestehen kann. Dies wurde auch durch das OLG Nürnberg in einer neueren Entscheidung wieder bestätigt.

Folglich ist der Antragsteller auch nicht verpflichtet, bereits im selbständigen Beweisverfahren schlüssig, ausführlich und vollständig zu allen unfallversicherungsrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen (v.a. innerhalb eines Jahres nach dem Unfall in seiner Leistungsfähigkeit dauerhaft beeinträchtigt worden zu sein) vorzutragen.

Es bleibt allein einer Beweisaufnahme im Hauptsacheprozess vorbehalten, zu klären, dass bei der Antragstellerpartei jeweils fristgerecht eine unfallbedingte Invalidität eingetreten ist (bspw. durch Vernehmung der ärztlichen Mitbehandler als Zeugen; Vorlage der nötigen Behandlungsunterlagen nach § 142 ZPO; etc.). 

Ob und inwieweit die Antragstellerpartei „verspätete“ Meldungen an die Unfallversicherung machte, wird ebenso allein im Hauptsacheverfahren geklärt werden können.

Es wird zudem allein im späteren Hauptsacheverfahren (und nicht im selbständigen Beweisverfahren) zu prüfen und von der Unfallversicherung zu beweisen sein, ob und inwieweit hier der Versicherer die Antragstellerpartei auf vertragliche Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen, sowie auf einzuhaltende Fristen in Textform hingewiesen hat oder ob eine Verjährungseinrede des Versicherers greift.

Das OLG Düsseldorf stellte hierzu fest, dass die Prüfung der Erfolgsaussicht des Hauptprozesses die dezidierte Darlegung des Streitverhältnisses erforderlich mache. Dieses zu klären, wozu auch die Prüfung der materiellrechtlichen Wirkungen der Verjährungseinrede gehöre, ist grundsätzlich Aufgabe des Hauptsacheverfahrens selbst. Ebensowenig wie das angerufene Gericht die Erheblichkeit der Beweismittel für den Hauptprozess zu prüfen habe, komme es für das selbständige Beweisverfahren auch nicht auf die rechtliche Begründung der verfolgten Ansprüche an. Würde man solches verlangen, liefe dies durch eine Überfrachtung des auf schnelle Ergebnisse zielenden Verfahrens mit Rechts- und Tatsachenfragen dessen Zweck gerade zuwider.

Folglich muss auch der Streit über die „formalen Anspruchsvoraussetzungen“, d.h. der Streit über den fristgerechten Eintritt der Invalidität, die fristgerechte ärztliche Feststellung, sowie die fristgerechte Geltendmachung der Ansprüche ausschließlich dem Hauptsacheprozess vorbehalten bleiben und darf nicht ins selbständigen Beweisverfahrens vorverlagert werden; denn gerade bei der Prüfung der formalen Anspruchsvoraussetzungen im Unfallversicherungsrecht sind eine Vielzahl von streitigen Tat- und Rechtsfragen zu klären.

Für das rechtliche Interesse an der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens kommt es mithin grundsätzlich nicht auf die Erfolgsaussichten des späteren Prozesses an.

Das Gericht hat daher im selbständigen Beweisverfahren nicht zu prüfen, ob der Antragsteller bei der Formulierung der Beweisfragen die rechtlichen Voraussetzungen seines möglichen Hauptsacheanspruchs zutreffend berücksichtigt hat. Ein rechtliches Interesse im Sinne von § 485 Abs. 2 ZPO liegt schon dann vor, wenn die rechtliche Erheblichkeit des Beweisthemas zumindest nicht von vornherein gänzlich ausgeschlossen ist.

Der Vermeidung eines Rechtsstreits i.S.d. § 485 Abs. 2 ZPO dient ein selbständiges Beweisverfahren immer auch dann, wenn ein Beweisergebnis den Antragsteller zu einer Abstandnahme von der ursprünglich vielleicht beabsichtigten Klage bewegen kann. Auf eine Gütebereitschaft auf Seiten des Antragsgegners komm es von vornherein nicht an.

Zutreffend stellt Kloth daher fest, dass selbst wenn die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens für den Versicherungsnehmer nicht unbedingt immer zielführend und hilfreich sein kann und der Antragsteller eines selbständigen Beweisverfahrens regelmäßig Gefahr läuft, dass das von ihm erwirkte Sachverständigengutachten in einem späteren Prozess nicht ausreicht oder sich gar als unerheblich erweist, dies letztlich trotzdem nicht dazu führen kann, die vom Gesetzgeber bewusst weit gefassten Antragsvoraussetzungen des § 485 Abs. 2 ZPO mit Rücksicht auf angebliche Besonderheiten bestimmter Streitsachen wieder einzuschränken.

Es kann also festgehalten werden, dass sich eine weite Fassung des rechtlichen Interesses durch die gerichtliche Entscheidungspraxis bestätigt hat. Für das selbstständige Beweisverfahren im Unfallversicherungsrecht hat dabei vor allem das rechtliche Interesse an der Feststellung des Zustandes einer Person iSd. § 485 Abs. 2 Nr. 1 ZPO große Bedeutung. So hat das OLG Nürnberg klargestellt, dass der festzustellende Grad der Invalidität zum Zustand des Antragstellers iSd. § 485 Abs. 2 Nr. 1 ZPO gehöre. 

 

5. Inhalt des Antrags auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens

Der Antrag des Antragstellers muss nach § 487 ZPO lediglich folgenden Vortrag enthalten: 

Die Bezeichnung des Gegners; 

die Bezeichnung der Tatsachen, über die Beweis erhoben werden soll; 

die Benennung der Zeugen oder die Bezeichnung der übrigen nach § 485 ZPO zulässigen Beweismittel; 

sowie die Glaubhaftmachung der Tatsachen, die die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens und die Zuständigkeit des Gerichts begründen sollen.

Laut OLG Naumburg fordert § 487 ZPO nur geringe Substanziierungsanforderungen an beweisbedürftige Tatsachen im Arzthaftungsprozess, da der geschädigte Patient (Antragsteller) grds. medizinischer Laie sei. Die Anforderungen an die Substanziierung der Behauptungen, über die Beweis erhoben werden soll (§ 487 Nr. 2 ZPO), habe die – geringen – Substanziierungsanforderungen im Arzthaftungsprozess zu berücksichtigen. Stelle der Antragsteller mit hinreichendem Einzelfallbezug (und nicht nur pauschal und formelhaft) dar, welche behaupteten, als Gesundheitsschaden empfundenen Folgeerscheinungen er auf die ärztliche Behandlung zurückführt, so sei den Anforderungen aus § 487 Nr. 2 ZPO regelmäßig genügt.

Das OLG Naumburg stellt hierzu fest, dass die Anforderungen an die Substanziierungspflicht in Arzthaftungsfragen denkbar gering seien, mit der Tendenz zur Amtsermittlung. Der Sachverhalt, in den die Beweisfragen eingebettet sind, ergäbe sich vor diesem Hintergrund hinreichend aus dem Inhalt des Beweisantragsschriftsatzes, was ausreichend sei (unter Hinweis auf OLG Köln vom 7. 8. 2002 – 5 W 98/02 – VersR 2003, 375).

Aus Sicht des Verfassers kann diese Rechtsprechung entsprechend auch für § 487 ZPO im Personenversicherungsrecht berücksichtigt werden, denn auch hier ist der antragsstellende Versicherungsnehmer regelmäßig medizinischer Laie, der die näheren medizinischen Umstände zur Invalidität in der Unfallversicherung, zur Berufsunfähigkeit in der BU-Versicherung und zur medizinischen Notwendigkeit in der Krankenversicherung nur peripher und gering in seinem Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens wird darlegen können.


C. Selbständiges Beweisverfahren im Recht der Berufsunfähigkeitsversicherung (BU)

Die Anwendbarkeit des selbständigen Beweisverfahrens bzgl. der BU-Versicherung ist anders als im privaten Unfallversicherungsrecht nach wie vor sehr umstritten.

 

1. Contra

Nach Mangen würde ein selbständiges Beweisverfahren im BU-Recht anstelle einer Anspruchsdurchsetzung im Klageweg im Regelfall nicht in Betracht kommen. Ungeeignet sei ein selbständiges Beweisverfahren vor allem dann, wenn das Berufsbild – wie häufig – streitig ist, denn dieses könne in jenem Verfahren nicht geklärt werden, weil ein Zeugenbeweis nicht zulässig sei.

Auch Mertens positioniert sich eindeutig ablehnend, wenn er kommentiert, dass ein selbständiges Beweisverfahren in Streitfragen zur BU unzulässig sei.

Fraglich ist nach Neuhaus, ob das selbständige Beweisverfahren zulässig ist, wenn der Versicherer bereits die Tatsachengrundlagen bestreitet (etwa die zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit), da ein Rechtsstreit eigentlich nicht vermieden werden könne, wenn das Gutachten bereits auf einer streitigen Tatsachengrundlage erstellt würde.

Nach dem OLG Köln bestehe bei einem streitigen Tätigkeitsbild im selbständigen BU-Beweisverfahren keine Möglichkeit zur vorherigen Klärung der Anknüpfungstatsachen durch Zeugenvernehmung, so dass dieses Verfahren dann im Hinblick auf eine außerprozessuale Streitbeilegung ungeeignet sei. Praktisch darf es nach dieser Ansicht also nur um die Klärung des gesundheitlichen Zustands gehen, sobald Anderes (Berufsbild, Verweisung) streitig ist, sei das Verfahren nicht mehr geeignet, einen BU-Rechtsstreit zu vermeiden.

 

2. Pro

Anders sah dies das OLG Celle im Jahre 2010, welches zum BU-Recht entschied: 

„Der Durchführung eines auf Feststellung der Berufsunfähigkeit gerichteten selbstständigen Beweisverfahrens steht nicht entgegen, dass das vom Antragsteller - möglicherweise unvollständig - beschriebene Berufsbild vom Antragsgegner bestritten wird.“ 

Gegenstand des Verfahrens war hier unter anderem die Frage, ob der Antragsteller aufgrund einer bipolaren Störung zu mindestens 50 % außerstande sei, seinen Beruf als Leiter und Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes auszuüben. Das OLG Celle führt aus, dass in Ausnahmefällen eine Berufsunfähigkeit auch ohne vorherige Feststellung des konkreten Berufsbildes positiv festgestellt werden könne. 

Stehe zumindest die Möglichkeit einer generellen Berufsunfähigkeit des Antragstellers unabhängig von der konkreten beruflichen Tätigkeit im Raum, könne ihm das rechtliche Interesse nach § 485 Abs. 2 ZPO an der Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens bereits deshalb nicht abgesprochen werden. 

Es bestünde zudem immer die Möglichkeit der Abstandnahme des BU-Versicherten von einem Rechtsstreit bei einem für ihn ungünstigen Beweisergebnis. 

Auch im BU-Prozess könne die Gefahr eines letztlich vergeblich durchgeführten selbständigen Beweisverfahrens nicht dazu führen, die vom Gesetzgeber ganz bewusst weit gefassten Antragsvoraussetzungen des § 485 Abs. 2 ZPO mit Rücksicht auf angebliche Besonderheiten bestimmter Streitsachen wieder einzuschränken.

Auch das LG Freiburg hielt in einer jüngsten Entscheidung aus diesem Jahr das selbständige Beweisverfahren im BU-Recht für zulässig. Es ließ im selbstständigen Beweisverfahren gegen eine private BU-Versicherung die Frage zu, ob ein Zustand von Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall vorliegt, aufgrund dessen die Antragstellerin zu mind. 50% ihren zuletzt ausgeübten Beruf nicht mehr nachgehen kann. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt war dabei schlichtweg das von der Antragstellerin in gesunden Tagen zuletzt ausgeübte Tätigkeitsbild. 

 

3. Einfluss der Rechtsprechung zum Medizinschadensrecht

Auch hier kann die aktuelle Rechtsprechung des BGH zum selbständigen Beweisverfahren im Arzthaftungsrecht möglicherweise zur Klärung beitragen. 

Der BGH begründet, dass der Wortlaut des § 485 Abs. 2 ZPO eine grundsätzliche Ausklammerung der Arzthaftungssachen aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift nicht zulasse, weil primärer Zweck des Verfahrens die Entlastung der Gerichte sei (Verweis auf die Gesetzesbegründung) und diese auch in solchen Verfahren eigene Möglichkeiten haben, den Sachverhalt weiter aufzuklären und zu versuchen, die Parteien zu einer vergleichsweisen Einigung zu führen oder den Patienten zu veranlassen, von der Weiterverfolgung der Ansprüche abzusehen. Die Gerichte können hierzu den Sachverständigen zur Anhörung laden, zur Ergänzung des Gutachtens auffordern, ein weiteres Gutachten einholen oder die Parteien zur Erörterung laden.

Dies kann aus Sicht des Verfassers entsprechend für das BU-Recht gelten, denn auch hier klammert der Wortlaut des § 485 Abs. 2 ZPO die medizinischen Fragen im Rahmen der BU-Prüfung nicht aus.

Zudem können nach der aktuellen Rechtsprechung des BGH und mehrerer Obergerichte nunmehr auch sog. „Zwitterbeweisfragen“ (also Beweisfragen, die zum Teil echte Rechtsfragen darstellen) Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens sein.

Es ist Neuhaus darin zuzustimmen, dass sich diese aktuellen Grundsätze auch auf einen Berufsunfähigkeitsstreit übertragen lassen müssen, da die Ausgangssituation praktisch identisch ist. Da der Zweck des § 485 Abs. 2 ZPO nicht außer Acht gelassen werden kann, ist eine weite Auslegung geboten. Die maßgebliche Argumentation für die Zulässigkeit wurzelt nicht speziell im Recht der Berufsunfähigkeitsversicherung, weshalb sie sich auch auf andere versicherungsrechtliche Auseinandersetzungen übertragen lässt. Somit sprechen die besseren Argumente dafür, das selbständige Beweisverfahren auch im BU-Recht zuzulassen.

 


D. Ergebnis:

Die Anwendung des selbständigen Beweisverfahrens zu den „medizinischen Tatbestandsmerkmalen“ in der Krankenversicherung, in der Unfallversicherung und auch in der BU-Versicherung ist aus Sicht des Verfassers zu bejahen.

Stegers weist darauf hin, dass „… es das Bestreben des Gesetzgebers -ähnlich dem petrial discovery im amerikanischen Recht - war, ein vorgeschaltetes, auf die Beweisthemen des Antragstellers und das Beweismittel eines Sachverständigengutachtens begrenztes Beweisverfahren zu installieren.“

Aus all dem folgt, dass mittlerweile die uneingeschränkte Zulässigkeit von selbständigen Beweisverfahren im Personenversicherungsrecht (wie auch in Medizinschadensfällen) grundsätzlich bejaht werden muss, da durch solche Beweisverfahren die Vermeidung von Folgeprozessen gegen Personenversicherer gefördert werden kann.

Zudem muss unterstrichen werden, dass man bei den Anforderungen an die Substanziierung der Behauptungen, über die Beweis erhoben werden soll (§ 487 Nr. 2 ZPO), also bei den Anforderungen an die Beweisfragen, die geringen Substanziierungsanforderungen des Patienten (im Arzthaftungsrecht) bzw. des Versicherungsnehmers (im Personenversicherunsrecht) zu berücksichtigen hat. Es verbieten sich hier mithin überzogene Anforderungen seitens der Gerichte.

Auch wenn heute immer noch einige Gerichte das selbständige Beweisverfahren für „nicht zweckmäßig“ halten, so ist es dennoch zulässig. Denn Zweckmäßigkeit und Zulässigkeit sind in § 485 Abs. 2 ZPO strikt voneinander zu trennen. Nach dem Gesetz ist auch ein nicht zweckmäßiges selbständiges Beweisverfahren trotzdem (bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen) immer zulässig.

An der Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens ändert auch der bedauerliche Umstand nichts, dass ein selbstständiges Beweisverfahren für die betroffene Kammer dadurch einen „lästigen“ Mehraufwand bedeuten kann, dass die jeweilige Sache bei der turnusmäßigen Vergabe neuer Verfahren innerhalb eines (Land-)Gerichts weitestgehend unberücksichtigt bleibt, sprich der damit einhergehende Arbeitsaufwand der Kammer zur ohnehin schon bestehenden Belastung noch hinzu tritt.

Abschließend sei angemerkt, dass auch im selbständigen Beweisverfahren rechtzeitige und konkrete richterliche Hinweise erfolgen sollten, wenn das Gericht bzgl. der Formulierung bzw. der Zulässigkeit einzelner Beweisfragen noch Bedenken hat, denn § 139 ZPO gilt in allen Instanzen und Verfahrensarten. Die in § 139 ZPO normierte richterliche Hinweispflicht gilt mithin auch im selbständigen Beweisverfahren, denn § 139 ZPO ist nicht nur bzgl. Hinweisen zur Unzulässigkeit eines Klageantrags und bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung, sondern umfassend anzuwenden.


Fundstellen

1 OLG Frankfurt, Beschl. vom 16.11.2015 - 3 W 41/15 = BeckRS 2015, 121983.

2 BGHZ 198, 237; BGH NJW 2013, 3654; BGH MDR 2013, 1342; BGH VersR 2014, 264.

3 LG Hannover, Beschl. vom 4. 4. 2001 (3 OH 36/01–057) = VersR 2001,1099.

4 Rinke, Balser: Selbstständiges Beweisverfahren bei Streit über die medizinische Notwendigkeit einer vorgesehenen Heilbehandlung - zulässig?(VersR 2009, 188).

5 Rinke, aaO, nennt Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 66. Aufl. § 485 Rn. 14; Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. 2004 § 1 MBKK Rn. 47 a; Müller-Stein in van Bühren, Handbuch Versicherungsrecht 2. Aufl. § 16 Rn. 55.

6 OLG Köln, Beschl. vom 2.11.2010 – 20 W 62/10 = BeckRS 2010, 30727.

7 Voit in Prölss/Martin/Voit, VVG, 29. Aufl., § 192, Rn. 78.

8 Wendt in Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, 3. Auflage 2016, Abschnitt C Perso- nenversicherungen § 11 Private Krankheitskosten- und Krankentagegeldversicherung Rn. 20.

9 Fricke: Anspruchstypen und Klagemöglichkeiten des VN in der privaten Krankenversicherung VersR 2013, 538.

10 Rogler in Rüffer/Halbach/Schimikowski, Versicherungsvertragsgesetz, 3. Aufl., MB/KK 2009 § 1, Rn. 31.

11 Heyers: Effiziente Prüfung und Bestimmung des Leistungsumfangs der Krankenversicherung vor Beginn medizinischer Diagnostik und Therapie (VersR 2016, 421, 426).

12 LG Hannover VersR 2001, 1099. Ebenso OLG Nürnberg, Beschl. vom 13. 11. 1996 – 1 W 3034/96 – MDR 1997, 501 (Vorwegnahme der Hauptsache); OLG Köln VersR 1998, 1420 (Störung der Klärung im normalen Erkenntnisverfahren durch einseitig vom Antragsteller vor- formulierte Fragen und die von ihm getroffene Auswahl des Sachverständigen).

13 Rogler in Rüffer/Halbach/Schimikowski, VVG 2. Aufl. 2011 § 1 MB/KK Rn. 31.

14 Rinke, Balser VersR 2009, 188; Uzunovic, Der Streit um die medizinische Notwendigkeit, 2012, S. 108 ff.; Wohl auch OLG Köln, Beschl. vom 2. 11. 2010 – 20 W 62/10 – MDR 2011, 318; OLG Düsseldorf, Beschl. vom 12. 1. 2000 – 8 W 53/99 – NJW 2000, 3438 = OLGR 2000, 145; vom 18. 9. 1995 – 8 W 23/95 – MedR 1996, 132 (dazu bejahend Mohr MedR 1996, 454); OLG Schleswig, Beschl. vom 19. 12. 2000 – 16 W 292/00 – OLGR 2001, 279 = SchlHA 2001, 237.

15 Heyers, aaO.

16 Heyers, aaO.

17 Rinke, Balser: Selbstständiges Beweisverfahren bei Streit über die medizinische Notwendigkeit einer vorgesehenen Heilbehandlung - zulässig? (VersR 2009, 188).

18 Uzunovic, Der Streit um die medizinische Notwendigkeit, 2012, S. 108 bis 155.

19 Wendt in Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, 3. Auflage 2016, Abschnitt C Perso- nenversicherungen § 11 Private Krankheitskosten- und Krankentagegeldversicherung Rn. 20.

20 AG Regensburg, Beschl. vom 02.10.2015 – 7 H 18/15 (nicht veröffentlicht).

21 OLG Frankfurt, Beschl. vom 16.11.2015 – 3 W 41/15 = BeckRS 2015, 121983.

22 LG Freiburg, Beschl. vom 14.06.2016 – 14 OH 13/15 (nicht veröffentlicht).

23 BGHZ 198, 237 = VersR 2014, 264.

24 ausführlich hierzu und m.w.N.: Graf/Werner: Das selbstständige Beweisverfahren im Arzthaf- tungsrecht: Ein immer noch umstrittener Streitvermeider? (VersR 2017, 913).

25 OLG Hamburg, VersR 2017, 967.

26 OLG Nürnberg, VersR 2017, 969.

27 OLG Karlsruhe, Beschl. vom 02.02.2017 - 9 W 57/16; OLG Nürnberg, Beschl. vom 09.10.2014 – 8 W 2040/14 = NJW-RR2015,160; OLG Celle, Beschl. vom 10. 5. 2011 – 8 W 27/11, VersR 2011, 1418; OLG Köln, Beschl. vom 1. 8. 2005 – 5 W 92/05, OLGR 2006, 58; vgl. Kloth, in Kloth, Private Unfallversicherung, 2. Auflage 2014, U. Der Unfallversicherungsprozess Rn. 25.

28 LG Augsburg, Beschl. vom 18.07.2016 – 101 OH 4441/15 (nicht veröffentlicht).

29 OLG Nürnberg, Beschl. vom 09.10.2014 – 8 W 2040/14, BeckRS 2014, 20020.

30 OLG Karlsruhe, Beschl. vom 02.02.2017 – 9 W 57/16 (LG Freiburg), BeckRS 2017, 111877. 31 vgl. Fußnote zuvor.

32 vgl. Fußnote zuvor.

33 vgl. Fußnote zuvor.

34 Vgl. BGH, Beschl. vom 16. 9. 2004 – III ZB 33/04, NJW 2004, 3488 mit Verweis auf OLG Köln, Beschl. vom 22. 6. 1995 – 22 W 20/95, NJW-RR 1996, 573, 574; OLG Düsseldorf, Beschl. vom 16. 1. 2001 – 22 W 2/01, NJW-RR 2001, 1725, 1726.

35 OLG Nürnberg, Beschl. vom 09.10.2014 – 8 W 2040/14, BeckRS 2014, 20020.

36 LG Karlsruhe, Beschl. vom 09.06.2016 – 8 OH 2/16 (nicht veröffentlicht).

37 OLG Düsseldorf, Beschl. vom 13.10.2000 – 21 W 43/00, OLGR 2001,18.

38 OLG Köln, Beschl. vom 1. 8. 2005 – 5 W 92/05, OLGR 2006, 58.

39 OLG Karlsruhe Beschluß vom 2.2.2017, 9 W 57/16; nunmehr auch LG Freiburg, Abhil- febeschl. vom 26.07.2017 und Begründungsverfügung vom 14.08.2017, Az. 14 OH 21/16 (nicht veröffentlicht)

40 OLG Celle, Beschl. vom 10. 5. 2011 – 8 W 27/11, VersR 2011, 1418 mit Verweis auf Herget, in: Zöller, § 485 ZPO Rn. 7 a.

41 OLG Oldenburg, Beschl. vom 6. 6. 1994 – 5 W 57/94, MDR 1995, 746.

42 Kloth, in Kloth, Private Unfallversicherung, 2. Auflage 2014, U. Der Unfallversicherung- sprozess Rn. 26.

43 OLG Nürnberg, Beschl. vom 09.10.2014 – 8 W 2040/14, BeckRS 2014, 20020.

44 OLG Naumburg, Beschl. vom 25. 2. 2016 – 1 W 46/15 = VersR 2017, 443.

45 Mangen in BeckOK VVG/Mangen, Stand: 30.06.2016, VVG § 172, Rn. 96f. unter Hinweis auf OLG Köln NJW-RR 2009, 431.

46 Mertens in Rüffer/Halbach/Schimikowski, Versicherungsvertragsgesetz, 3. Auflage 2015, VVG § 172 Rn. 41.

47 Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 3. Aufl. 2014, R. Berufsunfähigkeits-Prozess: Besonderheiten von A–Z Rn. 154ff.

48 OLG Köln, Beschl. vom 11.4.2008 – 20 W 11/08, VersR 2008, 1340 = VK 2008, 204.

49 Neuhaus, aaO.

50 OLG Celle, Beschl. vom 18. 10. 2010 – 8 W 32/10, NJW-RR 2011, 536.

51 LG Freiburg, Beschl. vom 04.07.2017 – 14 OH 8/17 (nicht veröffentlicht).

52 BGHZ 198, 237 = VersR 2014, 264.

53 Neuhaus, aaO.

54 vgl. ausführlich Graf/Werner: Das selbstständige Beweisverfahren im Arzthaftungsrecht: Ein immer noch umstrittener Streitvermeider? VersR 2017, 913.

55 Neuhaus, aaO.

56 Stegers, Sachverständigenbeweis im Arzthaftungsrecht, 2. Aufl., Rn. 777.

57 OLG Naumburg, Beschl. vom 25. 2. 2016 – 1 W 46/15 = VersR 2017, 443.

58 vgl. Kloth/Tschersich: Die private Unfallversicherung – Aktuelles aus Rechtsprechung und Praxis Teil 2 (r+s 2015, 321).

59 Beispiel: Laut Geschäftsverteilungsplan 2016 des Landgericht Nürnberg-Fürth, Stand: 1. Januar 2016 (dort S. 14 Rn. 3.4.) gilt, dass erstinstanzliche Verfahren und Berufungen im Tur- nus mit einem Wert von 1,0, erstinstanzliche Bau- und Arzthaftungssachen sogar mit einem Wert von 2,0 berücksichtigt werden, demgegenüber werden selbständige Beweisverfahren nur mit einem sehr kleinen Wert von 0,3 berücksichtigt.

60 vgl. Prütting / Gehrlein: ZPO Kommentar, 8. Auflage 2016, § 139 ZPO, Rn. 4.

61 vgl. Prütting / Gehrlein: aaO, Rn. 2 (mwN). 


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