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Blog: Klinik Freiburg - Diagnosefehler bei Augenuntersuchung

Der fundamentale Diagnosefehler vor einer Augenoperation im Klinikum Freiburg

Hier möchte ich einen meiner derzeitigen Fälle darstellen und meine diesbzgl. Erwägungen erläutern.

 

Der Fall ist bereits bei Gericht und demnächst wird eine mündliche Verhandlung stattfinden, bei der auch der Gerichtsgutachter zu seinen Gutachten angehört werden wird.


Hinweis: Bei dem hier vorgestellten Fall handelt es sich um einen realen Fall aus unserer Kanzlei. Es wurden lediglich die Namen aller Beteiligten, sowie die Datumsangaben, die Zahlen und die sonstigen genannten Beträge abgeändert und/oder abgekürzt, um den Fall dadurch zu anonymisieren.

Ausgangspunkt des Falles

Ausgangspunkt des Falles ist die Netzhautuntersuchung beim Beklagten Ende August 2008, seine Operation am 04.09.2008 und der später eingeholte Farbfotobefund vom 18.09.2008, auf welchem eindeutig die wochenalte venöse Thrombose bzw. die Blutung zu sehen ist, und welche vom Beklagten als Facharzt vor der Operation im Klinikum K. in Freiburg nicht hätte übersehen werden dürfen (vgl. S. 3 im Gutachten Prof. S. v. 07.02.13).

Rechtliche Bewertung

(1)

Zusammenfassend stellt der gerichtliche Sachverständige fest, dass präoperativ bei der Netzhautuntersuchung der wichtige Thrombosezustand übersehen worden ist und kausal hierauf eine fehlerhafte Aufklärung und OP-Entscheidung beruht (vgl. S. 5 Mitte im Gutachten Prof. S. v. 07.02.13).

 

(2)

Der Gerichtsgutachter bestätigt sodann hierin eindeutig einen „fundamentalen Diagnoseirrtum“, da er feststellt, dass in solchen Fällen die Diagnostik immer sehr sorgfältig durchgeführt werden muss, und die Blutung im vorliegenden Fall so offensichtlich gewesen ist, dass sie vom Bekl. nicht hätte übersehen werden dürfen und das Fehlverhalten des Beklagten folglich als „unverständliches Übersehen offensichtlicher Befunde“ zu bewerten sei (vgl. S. 6 Mitte im Gutachten Prof. S. v. 07.02.13);

dass die Thrombose schon präoperativ bestand und diese „schlechterdings nicht hätte übersehen werden dürfen“ (vgl. S. 3 Mitte im Gutachten Prof. S. v. 18.08.13).

 

(3)

Diese fundamentale Fehldiagnose ist vorliegend auch kausal für den Eingriff (dh für die Operation im Klinikum Freiburg und das Einbringen der Multifokallinse), weil „hätte der Bekl. die Thrombose erkannt, hätte er (...) keine Kataraktoperation empfohlen“ , und weil „mit Erkennen des Verschlusses mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Operation erfolgt wäre“ (vgl. S. 6 oben und unten im Gutachten Prof. S. v. 07.02.13);

durch die Operation nun der Visus am linken Augen (im Vergleich zum rechten) „schwankt“ (vgl. S. 3 untn im Gutachten Prof. S. v. 18.08.13).

 

In der mündlichen Verhandlung wird es daher insbesondere darum gehen, dass der Sachverständige den Diagnosefehler auch weiterhin als schweren Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst (Schlagwort: „Wie hätte der vorsichtige Facharzt dies bewertet bzw. gehandelt?“) bestätigt.

 

(4)

Folglich liegt nun die Beweislastumkehr beim fundamentalen Diagnosfehler / groben Behandlungsfehler vor.

 

Der Sachverständige bestätigt nämlich auch, dass der grobe Diagnosefehler hier geeignet ist, den Schaden der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen. Denn es „sind die dokumentierten Beschwerden im ersten Jahr nach der Operation die Folge des Übersehens des Verschlusses.“ (vgl. S. 7 unten und unten im Gutachten Prof. S. v. 07.02.13).

 

Der Patient muss in rechtlicher Hinsicht nur diese Geeignetheit nachweisen, „nahe legen oder wahrscheinlich machen muss der Fehler den Schaden nicht“ (Wenzel, Der Arzthaftungsprozeß, S. 1475, Rn. 3603).

 

Damit hat die Klägerin vorliegend sämtliche Tatbestandsmerkmale für ihren Klageanspruch zunächst einmal bewiesen, denn es tritt eine Beweislastumkehr zwischen dem Behandlungsfehler und den primären Gesundheitsschäden auf den Plan (BGH VersR 2009, 1668). Hierauf könnte man in der mündlichen Verhandlung hinweisen.

 

(5)

Die in Ihrer Klageschrift auf den S. 22 ff geschilderten Gesundheitsschäden sind vorliegend als echte Primärschäden zu qualifizieren, so dass sich die Beweislastumkehr auf die vorliegenden Schäden bezieht und das Erstgericht deren Beruhen auf dem Behandlungsfehler vermuten muss. Auch hierauf könnte man in der mündlichen Verhandlung hinweisen und dementsprechend argumentieren.

 

(6)

Einziges Restrisiko für die Klägerin bestünde nun darin, dass die Gegenseite den echten Gegenbeweis zu führen vermag.

 

Laut ständiger Rechtsprechung des BGH (BGH VersR 2000, 1282) müsste die Gegenseite jedoch zweifelsfrei beweisen, dass „der Ursachenzusammenhang zwischen groben Behandlungsfehler und Schaden gänzlich bzw. äußerst unwahrscheinlich ist (Wenzel, Der Arzthaftungsprozeß, S. 1476, Rn. 3604).

 

Dieser Gegenbeweis wird der Beklagtenseite kaum gelingen:

 

(a)

In dem hier besonderen Fall bestätigt der Sachverständige eindeutig die Gesundheitsverschlechterung der Klägerin im ersten Jahr (bis vom 05.09.2008 bis 07.10.2009) nach der Operation als kausal (vgl. S. 7 unten im Gutachten Prof. S. v. 07.02.13 und S. 7 im Gutachten Prof. S. v. 18.08.13).

 

Die postoperative Verschlechterung des Makulaödems ist eindeutig auf die nicht indizierte Katarktoperation zurückzuführen (vgl. S. 5 unten im Gutachten Prof. S. v. 18.08.13).

 

(b)

Es lägen laut Sachverständigem ohne Zweifel kausale „hohe Zusatzbelastungen“ vor (vgl. S. 4 oben im Gutachten Prof. S. v. 18.08.13), und die verwendete und damit kausale Multifokallinse ist für den Patienten zumindest als problematisch einzustufen (vgl. S. 4 Mitte bis unten im Gutachten Prof. S. v. 18.08.13).

 

(c)

Ohne eine nachvollziehbare Abgrenzung stellt der Gerichtsgutachter zwar dann jedoch pauschal fest, dass die Verschlechterung des Sehvermögens ab dem 08.12.2011 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr Folge der Kataraktoperation sei, sondern auf den Verlauf der Erkrankung zurückzuführen seien (vgl. S. 7 Mitte unten im Gutachten Prof. S. v. 07.02.13).

 

In seinem Ergänzungsgutachten vom 18.08.13 schränkt er diese Bewertung dann später jedoch wieder ein, indem er nur noch von „nicht mehr mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit“ spricht, ohne jedoch zu erläutern, welchen Wahrscheinlichkeitsgrad er als notwendig empfindet (was zudem eine juristische Frage wäre) - (vgl. S. 6 unten im Gutachten Prof. S. v. 18.08.13).

 

In seinem Ergänzungsgutachten vom 18.08.13 spricht er am Ende von Seite 7 dann nur noch davon, dass fast alle (welche nicht?) Langzeitfolgen mit der gleichen Wahrscheinlichkeit (welcher?) auch ohne Katarktoperation entstehen können. Ein bloßes „Können“ reicht hier bei weitem nicht aus, um die strenge Beweislastumkehr der Rspr. zum groben Behandlungsfehler zu Fall bringen zu können. Auch die pauschale gutachterliche Angabe einer Zusammenhangswahrscheinlichkeit von <10% reicht nicht aus, um den Ursachenzusammenhang zwischen groben Behandlungsfehler und Schaden zweifelsfrei als gänzlich bzw. äußerst unwahrscheinlich zu bewerten.

 

Im Ergänzungsguatchten grenzt der gerichtliche Gutachter die operationsbedingten Verschlechterungen zudem rein pauschal auf die Zeit bis zum 07.10.2009 ein, ohne jedoch zu erläutern, weshalb hier ein taggenauer Kausalitätsschnitt festgestellt werden muss (vgl. S. 5 unten im Gutachten Prof. S. v. 18.08.13).

 

In der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Freiburg wird es entscheidend sein, darauf hinzuarbeiten, dass die Feststellungen des Sachverständigen gerade nicht ausreichen, um den Gegenbeweis der Beklagtenseite zu begründen und den Ursachenzusammenhang zwischen groben Behandlungsfehler und Schaden als gänzlich bzw. äußerst unwahrscheinlich zu bewerten.

 

(d)

 

Andere Langzeitgesundheitsverschlechterungen bewertet der Sachverständige ohnehin zu Gunsten der Klägerin:

 

Es sei für den Sachverständigen bspw. nachvollziehbar, dass die Klägerin zumindest psychologisch eine dauerhafte Einschränkung empfindet (vgl. S. 6 Mitte im Gutachten Prof. S. v. 18.08.13), welche -was der Sachverständige wohl dann übersieht- ebenfalls echte kausale Schadensfolge des Diagnosefehlers ist.

 

Zudem zeitigt auch die vom Bekl. operativ verwendete Linse kausale Folgen, denn

 

„Unbestritten mindert auch die Multifokallinse die Sehqualität des Auges.“,

(vgl. S. 6 Mitte im Gutachten Prof. S. v. 18.08.13),

 

zudem liegen dadurch Beeinträchtigungen wie verstärkte Blendung und Lichtsensationen (Kreise und Lichtquellen) vor, welche -was der Sachverständige ebenfalls übersieht- ebenso eindeutige kausale Folgen des Diagnosefehlers sind.

 

Auch hierauf könnte man in der mündlichen Verhandlung hinweisen.

 

(e)

 

Was der Sachverständige in seinem Gutachten verkennt, ist, dass die Beklagtenseite hier zunächst zweifelsfrei beweisen müsste, dass die in der Klageschrift schlüssig geschilderten Gesundheitsschäden nur gänzlich bzw. äußerst unwahrscheinlich auf den Diagnosefhler zurückzuführen sind.

 

Bereits das oben Ausgeführte steht einem solchen zweifelsfreien Gegenbeweis entgegen.

 

(f)

 

In rechtlicher Hinsicht kann der Gegenbeweis der Beklagtenseite auch schon deswegen nicht gelingen, da jedenfalls die postoperativen Beschwerden (auch laut den Feststellungen des Gerichtsgutachters) eben auf diesen Fehler beruhen und

dass (ebenso laut den Feststellungen des Gerichtsgutachters) bestimmte spätere Beschwerden nach über einem Jahr und bis heute (Sehqualitätminderung durch Multifokalllinse, Einschränkugen und Leiden, seien diese auch psychisch mitbedingt) zumindest mitkausal auf dem Diagnosefehler beruhen.

 

Dabei ist in rechtlicher Hinsicht -und dies verkennt der Sachverständige ebenso- zu berücksichtigen, dass grobe Behandlungsfehler zur Umkehr der Beweislast auch dann führen, wenn die die eingetretene Schädigung nur zusammen mit einer (eventuell sogar bereits vorhandenden) anderen, der Behandlungsseite nicht anzulastenden Ursache (bspw. Erkrankung) herbeizuführen geeignet sind (Wenzel, Der Arzthaftungsprozeß, S. 1477, Rn. 3605).

 

D.h. dies ist auch dann der Fall, wenn die Handlung des Schädigers den Schaden nicht abgrenzbar allein, sondern nur zusammen mit einer anderen Ursache herbei geführt hat (BGH NJW 1990, 2882, 2884).

 

aa)

Folglich wirkt sich auch der natürliche Krankheitsverlauf, sofern er das Schadensbild nur lediglich mitbeeinflußt, im Rahmen der Beweislastumkehr nicht schadensmindern zu Lasten für die Klägerin aus.

 

bb)

Ebenso können sämtliche in der Klageschrift geschilderten Beschwerden durchaus ihr Ausmaß, ihre Schwere und ihren Verlauf auch durch die mitkausale psychische Schadenskomponente erreicht haben, was in rechtlicher Hinsicht dann jedoch nicht zu Lasten der Klägerin geht, sondern ebenso dem Schädiger (dem Bekl.) zuzurechnen ist.

 

Es liegt auf der Hand, dass bei der Klägerin behandlungsfehlerbedingt eine psychische Schädigung mitausgelöst wurde, welche durch eine gerichtliche psychologische Zusatzbegutachtung (psychosomatisches Zusatzgutachten: posttraumatische Belastungsstörung usw.) nachgewiesen werden könnte (vgl. auch S. 7 Mitte im Gutachten Prof. S. v. 18.08.13), wobei dann die Frage zu diskutieren bleibt, wer diesen Zusatzumstand zu beweisen hätte, da -wie gesagt- auf erster Stufe die Beweislastumkehr zu Lasten der Beklagtenseite im Raum steht.

 

Auch hierauf könnte man in der mündlichen Verhandlung hinweisen und dementsprechend argumentieren.

 

(7)

Anzumerken ist auch, dass der Sachverständige die Beweisfragen zur Aufklärungsrüge völlig unzureichend beantwortet und fast ausblendet, offenbar weil er verkennt, dass es sich hierbei um einen unabhängigen und von der Behandlungsfehlerhaftung zu trennenden Haftungstatbestand handelt. Hier könnte man aus anwaltlicher Sicht die Überlegung anstellen, dass man sich -sollte das Gericht dem Gutachter folgen und der Aufklärungsrüge deswegen nicht nachgehen- dieses Argument und einen solchen Verfahrensfehler für die Berufungsbegründung aufhebt.

 

(8)

Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass hinter dem Beklagten eine in der anwaltlichen Praxis als vergleichsunwillig bekannte Haftpflichtversicherung steht, sollte die Klägerin m.E. ihre Klageansprüche hier nicht zu billig in einem Abfindungsvergleich verkaufen.

 

Immerhin bestehen hier behandlungsfehlerbedingte Dauerschäden, die m.E. nicht um jeden Preis abgegolten werden sollten.

 

Zudem liegt ein fundamentaler Diagnoseirtum vor, welcher früher oder später definitiv zu einer (Teil-)Verurteilung des Beklagten führen wird, wobei m.E. dem Klageantrag 1 zum Teil, dem Klageantrag 2 zum großen Teil und dem Klageantrag 3 m.E. vollumfänglich stattgegeben würde.

 

Unter Berücksichtigung der Sach- und Rechtslage könnte man die drei Klageansprüche unter Berücksichtigung aller Umstände bspw. gütlich wie folgt bewerten:

Antrag 1: Abfindung in Höhe von 10.000 Euro bis 15.000 Euro

Antrag 2: Abfindung in Höhe von 4.000 Euro

Antrag 3: Abfindung in Höhe von 5.000 Euro bis 10.000 Euro

 

Folglich könnte man -natürlich je nach Ausgang der mündlichen Verhandlung- über eine Gesamtabfindungssumme zwischen mindestens 20.000 Euro bis 25.000 Euro nachdenken.

 

Zudem könnte man in den Vergleichsgesprächen vor dem Landgericht Freiburg auch vorsichtig andeuten, dass hier erhebliche Ungereimtheiten bei der ärztlichen Dokumentation und Abrechnung vorliegen, welche (spätestens über das Oberlandesgericht) zu einem „roten Aktendeckel“ der Akte führen könnten - Schlagwort: Anordnung über Mitteilungen in Zivilsachen (MiZi).

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Gabriela Johannes - Experte für Arzthaftung, Behandlungsfehler, Unfallversicherung und Berufsunfähigkeit in Freiburg, Karlsruhe und Offenburg.