Invalidität bei Schulterschaden durch Unfall.

Patientenanwältin Gabriela Johannes und das Team von Fachanwalt Michael Graf aus Freiburg helfen bei Unfallversicherung, Berufsunfähigkeit und Versicherungsrecht.
Patientenanwältin Gabriela Johannes und das Team von Fachanwalt Michael Graf aus Freiburg helfen bei Unfallversicherung, Berufsunfähigkeit und Versicherungsrecht.

Michael Graf Patientenanwälte Freiburg.

Besonderheiten bei der Geltendmachung von Invalidität nach Gliedertaxe bei Schulterschaden

Das Problem

Seit einem Urteil des BGH aus dem Jahre 2015 geben die Unfallversicherungen den Gutachtern oftmals vor, dass der Schulterschaden nicht über den Armwert der Gliedertaxe, sondern außerhalb der Gliedertaxe, zu beurteilen sei. Die Versicherungen beziehen sich auf das heftig umstrittene Urteil des BGH vom 1.4.2015 – IV ZR 104/13, NJW-RR 2015, 1442. Das Urteil des BGH vom 1.4.2015 – IV ZR 104/13 wird in Literatur und obergerichtlicher Rechtsprechung auch deswegen (zu Recht) stark kritisiert, weil es die AGB-Klauselauslegungsgrundsätze im Versicherungsrecht  (§ 305 c Abs. 2 BGB: Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders) nicht berücksichtigt.

Eine Lösung

Wir haben in einem solchen Fall ein Anspruchsschreiben an die Unfallversicherung gerichtet und die höheren Ansprüche unserer Mandantin aus Armwert angesetzt. Lesen Sie hier einen Auszug aus unserem Anspruchsschreiben:

"Sehr geehrte Damen und Herren,

 

unter Vorlage der Anwaltsvollmacht zeigten wir bereits am 22.11.2016 die anwaltliche Vertretung unserer o.g. bei Ihnen versicherten Mandantschaft an.

Wir nehmen Bezug auf Ihr Schreiben vom 28.09.2016 (in welchem Sie die Unfallbedingtheit der vorliegenden Beeinträchtigung in Abrede stellen) und machen hiermit die Ansprüche unserer Partei gemäß §§ 187, 178 VVG und gemäß §§ 280, 286 BGB (Verzug) gegen Ihre Gesellschaft geltend.

 

A.) Tatsachenvortrag

 

1)

Mit Versicherungsschein vom 26.06.2012 (Nachtrag 1) mit der Nr.: 1234 versicherte die Muster A Versicherungs-AG unsere Partei mit einer Unfallversicherung XXXL-Schutz gemäß den im Versicherungsschein genannten AUB und diverser Zusatzklauseln in Höhe der Versicherungssumme von EUR 117.000,00 (Grundsumme) und EUR 409.500,00 (350% Progression), sowie einer Unfallrente von monatlich EUR 2.100,00, sowie Krankenhaustagegeld etc..

Bereits jetzt fällt auf, dass die Muster A Versicherungs-AG auf unser Schreiben vom 22.11.2016 andere (als die vereinbarten) Bedingungen an uns versandte, übersandt wurden die AUB B18 (Stand: 12.2013), vereinbart wurden aber unstreitig die AUB B18 (Stand: 07.2011).

 

2)

Am 18.12.2013 verunfallte unsere Partei beim Skifahren. Im Laufe der Zeit nahmen die Schmerzen im linken Arm und im linken Knie zu. Die Schmerzen im linken Arm waren bereits damals schlimmer als die im Knie. Unsere Partei konnte eine Fraktur ausschließen und ging von sehr schmerzhaften Prellungen und Verstauchungen aus. Aufgrund einer beruflichen Beförderung im Januar 2014 konnte sie sich jedoch „keine Fehlzeiten leisten“ und suchte daher zunächst keinen Facharzt auf. Sie behandelte die Schmerzen und Beeinträchtigungen konservativ mit üblichen Schmerzmitteln, Salben etc.. Der behandelnde Osteopath diagnostizierte (leider unzureichend) nur schlimme Prellungen. Im März 2014 wurden die Schmerzen dann derart unerträglich, dass unsere Partei am 19.03.2014 den Sportmediziner Hr. Dr. C. Musterarzt A aufsuchte, der sodann die fachärztlichen Folgeuntersuchungen und Folgebehandlungen bei Hr. Dr V. der Dres. F., B. & Kollegen bzgl. der Schulter und des Armes veranlasste. Ende des Jahres 2014 wurden dann auch die Schmerzen im Knie derart unerträglich, dass der Sportmediziner Dr. C. Musterarzt A am 06.01.2015 auch diesbzgl. die Folgeuntersuchungen und Folgebehandlungen im Klinikum G.B. veranlasste. Die Folgebehandlungen und Operationen sind bekannt.

 

Nach der medizinischen Erstversorgung und den Folgebehandlungen meldete unsere Partei den Versicherungsfall unverzüglich bei der Muster A Versicherungs-AG mündlich. Es wurde ihr mitgeteilt, dass man ihr ein Formular zusenden würde, welches an die Muster A Versicherungs-AG ausgefüllt rückversandt werden müsse und die Versicherung damit dann iSd § 7 AUB B18 (Stand: 07.2011) die nötigen Befunde direkt bei den ärztlichen Behandlern einholen könne und würde, und die diesbzgl. Kosten von der Versicherung übernommen würden, vgl. auch § 9 Nr. 1.2. AUB B18 (Stand: 07.2011).

 

3)

Die Muster A Versicherungs-AG übersandte (ohne Fristenbelehrung) mit Schreiben vom 24.03.2014 sodann ein Formular „Schadenanzeige“, welches am 30.03.2014 von unserer Partei ausführlich ausgefüllt an die Muster A Versicherungs-AG zurückversandt worden war. 

Unsere Partei gab dabei auch an, dass sie beim Sportmediziner Hr. Dr. med. Christoph Musterarzt A, B.straße 13, G.B. unfallbedingt in Behandlung sei. 

 

4)

Am 09.07.2014 bestätigten die Dres. F., B. & Kollegen, dass unfallbedingt vor allem eine Schulterläsion besteht und eine operative stationäre Behandlung nötig war.

 

5)

Die Muster A Versicherungs-AG veranlasste - entgegen der Monatsfrist der Regelung § 9 Nr. 1.1. AUB B18 (Stand: 07.2011) iVm §§ 187, 14 VVG, § 241 II BGB - seit dem 24.03.2014 sodann keine weiteren Mitteilungen, Prüfungen und Nachforschungen mehr, so dass es unsere Partei (!) dann war, die am 30.11.2014 endlich um Fortgang der Sache und um Versendung der üblichen ärztlichen Feststellungsbögen bat.

Die Muster A Versicherungs-AG unterliess damit das nötige Anerkenntnis nach § 9 Nr. 1.1. AUB B18 und zahlte auch nicht binnen der 2-Wochenfrist des § 9 Nr. 2.1. AUB B18 die geschuldeten Leistungen aus.

 

6)

Mit Schreiben vom 06.12.2014 übersandte die Muster A Versicherungs-AG dann endlich die nötigen Fragebögen und teilte unserer Partei eine „Erledigungsfrist“ bis zum 18.12.2016 (d.h. eine 3-Jahresfrist nach dem Unfall) mit; (am Rande: die vereinbarte Ausschlussfrist von 2 Jahren wurde dabei verschwiegen).

Mit ärztlicher Feststellung vom 23.12.2014 bestätigten die Dres. B. & Koll., dass 

„innerhalb von 24 Monaten nach dem Unfalltag eine unfallbedingte dauernde Beeinträchtigung der … Leistungsfähigkeit (Invalidität) eingetreten“ ist, der Arzt stellte unfallbedingte dauerhafte Schulterverletzungen, schmerzhafte Bewegungseinschränkungen und Ruheschmerz fest.

Die Muster A Versicherungs-AG unterliess sodann erneut das nötige Anerkenntnis nach § 9 Nr. 1.1. AUB B18, obwohl spätestens jetzt eine Erstbemessung möglich und geschuldet gewesen wäre, sie zahlte auch nicht binnen der 2-Wochenfrist des § 9 Nr. 2.1. AUB B18 die geschuldeten Leistungen aus.

 

7)

Am 02.02.2015 meldete unsere Partei sodann der Muster A Versicherungs-AG  telefonisch die weitere Unfallfolge und zwar einen Knorpelschaden im linken Knie. Es wurde ihr Seitens der Muster A Versicherungs-AG mitgeteilt, man werde die Invaliditätsvordrucke versenden, was mit Schreiben vom 13.02.2015 (unter erneutem mangelhaften Fristenhinweis) erfolgte. 

Mit ärztlicher Feststellung vom 15.02.2015 und Arztbrief vom 02.02.2015, sowie Arztbrief vom 02.04.2015 bestätigte Hr. Dr. G., dass 

„innerhalb von 24 Monaten nach dem Unfalltag eine unfallbedingte dauernde Beeinträchtigung der … Leistungsfähigkeit (Invalidität) eingetreten“ ist, der Arzt stellte einen unfallbedingten dauerhaften Knieschaden links fest.

Die Muster A Versicherungs-AG unterliess sodann erneut die Abgabe des geschuldeten Anerkenntnis nach § 9 Nr. 1.1. AUB B18, sowie die Leistungserbringung nach § 9 Nr. 2.1. AUB B18.

 

8)

Mit Email vom 13.04.2015 bestätigte die Sachbearbeiterin der Muster A Versicherungs-AG gegenüber der R.A. (aber nicht ggü. unserer Partei!), dass sich unsere Partei bei dem Skisturz am 18.12.2013 einen Schulterschaden und einen Knieschaden zuzog. Trotz dieser anerkennenden Erklärung gab die Muster A Versicherungs-AG das geschuldete Anerkenntnis nach § 9 Nr. 1.1. AUB B18 erneut nicht gegenüber unserer Partei ab.

 

9)

Parallel dazu gab es immer wieder telefonischen und später auch schriftlichen Kontakt zwischen der Muster A Versicherungs-AG und der Muster B Vers. AG (bei der unsere Partei ebenso unfallversichert ist). Im Telefonat am 29.07.2015 wurde zwischen den Unfallversicherern vereinbart, dass die Nachuntersuchung (NU) auch im Namen der Muster B AG erfolgen solle (Anmerkung: von beiden Versicherungsgesellschaften wurde bis zu diesem Zeitpunkt vertragswidrig noch keine Erstbemessung vorgenommen, womöglich hoffte man darauf, in einer sogenannten „Nachuntersuchung“ zu einem versicherungsgünstigen Ergebnis kommen zu können?). Die Muster A Versicherungs-AG sollte federführend (auch) für die Muster B Vers. AG die Regulierung übernehmen.

 

10) 

Erst mit Schreiben vom 27.08.2015 an Hr. Prof. T. beauftragte die nun federführende (Zitat aus der Korrespondenz mit der Muster B Vers. AG: „Bitte erstellen Sie das Gutachten auch im Namen der Muster B Versicherung“) Muster A Versicherungs-AG den Privatgutachter Hr. Prof. Dr. T. der Unfallklinik L. mit der Begutachtung diverser von der Muster A Versicherungs-AG vorgegebener Fragen. 

 

Bedenklich in diesem Zusammenhang ist bereits, dass die Muster A Versicherungs-AG dem Gutachter hier vorgibt, dass der vorliegende Schulterschaden nicht über den Armwert der Gliedertaxe, sondern außerhalb der Gliedertaxe, zu beurteilen sei. Die Versicherung bezog sich auf das heftig umstrittene Urteil des BGH vom 1.4.2015 – IV ZR 104/13, NJW-RR 2015, 1442

 

a)

Zum einen ist in Literatur und obergerichtlicher Rechtsprechung bereits streitig, bei welchen Schulterschäden das Urteil des BGH vom 1.4.2015 – IV ZR 104/13 überhaupt Anwendung finden könne und solle, da die meisten Schulterschäden unmittelbar mit Armschäden einhergehen.

 

b)

Zum anderen wird das Urteil des BGH vom 1.4.2015 – IV ZR 104/13 in Literatur und obergerichtlicher Rechtsprechung auch deswegen (zu Recht) stark kritisiert, weil es die AGB-Klauselauslegungsgrundsätze im Versicherungsrecht  (§ 305 c Abs. 2 BGB: Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders) nicht berücksichtigt. 

 

Denn nimmt der Versicherungsnehmer -wie hier- den Wortlaut der AUB für Verlust oder Funktionsunfähigkeit eines Armes getroffenen Regelung in den Blick, weist ihn zwar nichts darauf hin, dass der gesamte Schultergürtel zum Arm zählen soll und eine dort eintretende Gesundheitsbeeinträchtigung bei der Bestimmung des Invaliditätsgrades als bedingungsgemäße Funktionsstörung des Armes gelten soll. Gerade deswegen wird der durchschnittliche Versicherungsnehmer aber der Staffelung entnehmen, dass zum Arm nicht nur dessen in der Gliedertaxe im Einzelnen benannte Teile, sondern schließlich auch der restliche Arm inklusive der Schulter zählen solle. 

 

Die Schulter ist für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer der „Anfang des Armes“, da von der Schulter fast alle Bewegungen des Armes ausgehen. Die Schulter ist quasi „der Motor des Arms“ und gehört auch rein optisch und körperlich zum Arm dazu, auch im allgemeinen Sprachgebrauch wird bei Schulterschmerzen von den Patienten meist von „Schmerzen im oberen Arm“ gesprochen. Bspw. liegt der Hauptschultermuskel „musculus deltoideus“ im Oberarm.

 

Teile der Schulterpartie, da sie auch funktionell dazu bestimmt sind, die zwischen Arm und Rumpf auftretenden Kräfte aufzunehmen und somit die Funktionsfähigkeit des Armes zu gewährleisten, wird der durchschnittlichen Versicherungsnehmer daher immer als vom Bedingungswortlaut des „Armes“ der AUB erfasst ansehen. 

 

Insbesondere gehen etwaige Auslegungszweifel bei der Frage (ob die Schulterpartie zum Arm gemäß Gliedertaxe gehört oder eben nicht) dann zu Lasten des AGB-Klauselverwenders, d.h. hier zu Lasten der Unfallversicherung. 

 

Denn bei Auslegungszweifeln ist § 305 c Abs. 2 BGB anzuwenden. Erweist sich eine Bedingung - wie hier- als objektiv mehrdeutig, ist derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, die zu Lasten des Verwenders und damit in der Regel zu Lasten des Versicherers geht, vgl. Hörä in Terbille/Höra, Münchener Anwaltshandbuch Versicherungsrecht, 3. Aufl., § 1, Rn. 54.

 

c)

Auch Jacob in r+s 2015, 330 („BGH-Rechtsprechung zur Unfallversicherung – ein Praxistest – Anm. zum Urt. d. BGH v. 1.4.2015 – IV ZR 104/­03“) erläutert nachvollziehbar, weshalb das Urteil des  BGH v. 1.4.2015 – IV ZR 104/­03 falsch und praxisuntauglich ist, er kommt zu folgendem zutreffenden Ergebnis:

„Auch wenn dessen Argumentation (= die des BGHs, Anm. des Unterzeichners), der Gliedertaxe sei nicht ohne weiteres zu entnehmen, dass eine sich auf die Funktionsfähigkeit des Arms auswirkende Schulterverletzung mit dem Armwert zu bemessen sei, durchaus nachvollziehbar ist, greift sie dennoch zu kurz und wird der – auch für den durchschnittlichen VN erkennbaren – Gesamtkonzeption der Unfallvers. nicht gerecht. 

Diese unterscheidet nämlich zwischen der infolge des Unfallgeschehens eingetretenen Gesundheitsschädigung i. S. v. Ziff. 1.3 AUB als Voraussetzung eines Unfalls und der hieraus folgenden Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit i. S. v. Ziff. 2.1.1.1 AUB. 

Nur Letztere ist für die Bemessung der Invaliditätsleistung maßgeblich, so dass nicht der Sitz der unfallbedingten Verletzung, sondern die Funktionsbeeinträchtigung infolge dieser Gesundheitsbeeinträchtigung entscheidend ist. 

Die Bemessung des Invaliditätsgrads hat daher losgelöst von der konkreten Unfallverletzung allein unter Berücksichtigung des Ausmaßes der Funktionsbeeinträchtigung zu erfolgen. 

Richtigerweise hätte der BGH also seine Entscheidung danach ausrichten müssen, ob die Schädigung des Schultergelenks zu einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Arms geführt hat. Da dies wohl der Fall war, hätte die Invalidität nach Maßgabe des Armwerts bemessen werden müssen. Nur sofern sich die Schädigung des Schultergelenks allein auf dessen Funktionsfähigkeit auswirkt und die Armfunktion in keiner Weise beeinträchtigt, ist es vertretbar, die Invalidität außerhalb der Gliedertaxe zu bemessen.“

 

d)

Das OLG Karlsruhe lenkte daher nun mit Urteil vom 30.12.2016, 12 U 97/16 ein und „reparierte“ das falsche Ergebnis des BGH wie folgt:

„Leitsatz: "Die Bemessung des Invaliditätsgrades - hier: für die Schulter - hat sich auch außerhalb der Gliedertaxen an den vereinbarten Taxen zu orientieren und darf insbesondere nicht zu einem Wertungswiderspruch mit diesen führen (Fortführung BGH VersR 2015, 617; Anschluss OLG Hamm VersR 2008, 389; OLG Saarbrücken VersR 1997, 956).

Aus den Gründen: Angesichts der funktionellen Verbindung zum Arm teilt der Senat auch die vom Sachverständigen in der Berufungsverhandlung erörterten Bedenken gegen eine in der medizinischen Fachdiskussion vertretene Auffassung, die aufgrund der zitierten jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Anwendbarkeit der Gliedertaxe (VersR 2015, 617) die medizinische Bewertung der Schulter in der Weise von der Bewertung des Arms abkoppeln will, dass die Schulter so betrachtet wird, als sei der komplette Arm unterhalb des Schultergelenks amputiert. 

Nach dieser Auffassung ergäbe sich selbst für eine - hier nicht in Rede stehende - vollständige Funktionsaufhebung des Schultergelenks als Höchstwert ein Invaliditätsgrad von lediglich 8% (vgl. „Konsensempfehlung“, abgedruckt in Versicherungsmedizin Heft 2/2016).

Schon der Ausgangspunkt dieser Auffassung, den Arm vollständig hinwegzudenken, geht aus rechtlicher Sicht fehl. Die Funktionen der Schulter sind ohne Arm weitgehend nutzlos; Funktionsstörungen der Schulter wirken sich insbesondere in Form entsprechender Einschränkungen des Arms aus und stehen unvermeidlich in Beziehung zum Arm. Auch der Höhe nach würde eine derartige Geringbewertung der Schulter zu erheblichen Wertungswidersprüchen führen, und zwar nicht nur gegenüber der bisher üblichen Bewertungspraxis im Rahmen der Gliedertaxe des „Armes im Schultergelenk“ (vgl. dazu Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 29. Aufl., Ziff. 2 AUB 2010 Rn. 32 m. w. N..), sondern vor allem gegenüber der weiterhin bestehenden Gliedertaxe des Armes.“

 

e)

Noch deutlicher argumentieren Naumann/Brinkmann in „Zur Regulierung von Schulterschäden im Rahmen der privaten Unfallversicherung im Lichte der aktuellen Rechtsprechung des BGH; VersR 2015, 1350“:

„Die Entscheidung des BGH zur Schulterverletzung muss nach dem oben Gesagten als „unglücklich“ bezeichnet werden. 

Gerade aus der auch nach dem BGH maßgeblichen Sicht des durchschnittlichen, verständigen VN ist nicht nachvollziehbar, warum dieser im Rahmen der Invaliditätsleistung, also bei der Frage der Leistung für eine dauerhafte (gesundheitliche) Beeinträchtigung nicht auf die Beeinträchtigung selbst abstellen soll, sondern auf die Primärschädigung. 

Der verständige VN wird umgekehrt geradezu selbstverständlich davon ausgehen müssen, dass Schulterverletzungen, die sich rein auf die Funktionsfähigkeit des Arms auswirken, auch nach Gliedertaxe bewertet werden. 

Zudem wird sozusagen ohne Not und sachlicher Notwendigkeit eine neue medizinische Bewertungsgrundlage für Schulterverletzungen außerhalb der Gliedertaxe erforderlich, mit dem mutmaßlichen Ergebnis, dass der Invaliditätsgrad bei Schulterverletzungen nunmehr regelmäßig geringer anzusetzen sein wird, als bei gleicher Verletzung zu Zeiten einer Bewertung nach der Gliedertaxe. 

Diese Schlechterstellung des Versicherten, die sich im Bereich der erhöhten Kraftanstrengung noch fortsetzt, erscheint weder aus medizinischen noch rechtlichen Erwägungen angezeigt.“

 

11)

Namens und im Auftrag der Muster A Versicherungs-AG und der Muster B Vers. AG (vgl. auch telefonischen Auftrag der Muster B Vers. AG an die Muster A Versicherungs-AG vom 31.03.2016) erfolgten sodann zu den unfallbedingten Schulter  und Knieschäden mehrere Privatgutachten, wir nehmen diesbzgl. vollinhaltlich Bezug auf folgende beigefügte Fachgutachten:

radiologisches Zusatzgutachten des Hr. Dr. Gä. vom 19.10.2015

unfallchirurgisches Gutachten des Hr. Prof. Dr. T. vom 18.02.2016

neurologisches Zusatzgutachten der Fr. Dr. Fü. vom 16.07.2016

fachgutachterliche Gesamteinschätzung des Hr. Prof. Dr. T. vom 02.09.2016

 

Die letzte gutachterliche Einschätzung (Stand: 02.09.2016, d.h. nach fast drei Jahren nach dem Unfall) bestätigte die bereits mehrfach festgestellten unfallbedingten Schulter- und Knieschäden.

 

Der Schulterschaden wurde unfallchirurgisch und neurologisch gesamteingeschätzt mit dauerhaft mindestens 1/10 Armwert, der Knieschaden unfallchirurgisch  mit dauerhaft 1/7 Beinwert, sowie neurologisch mit weiterem dauerhaftem 1/15 Beinwert, mithin gesamteingeschätzt mit dauerhaft mindestens 2/7 Beinwert bemessen. Es wird v.a. bzgl. des Beinschadens sogar eine Verschlechterungstendenz festgestellt.

 

12)

Dieses Ergebnis der -von den Unfallversicherern (!) in Auftrag gegebenen- Fachgutachten „passte“ der Muster A Versicherungs-AG offenbar nicht, also versuchte sie sodann, mit Schreiben vom 13.09.2016 eine „Korrektur“ über den sie „beratenden Facharzt“, einen „Herrn Dr. med. R.“ vom „R.Institut für ÄB“ zu initiieren. 

 

Mit Schreiben vom 13.09.2016 gab die Muster A Versicherungs-AG sodann Herrn Dr. med. R. (ihrem beratenden Arzt) den Auftrag, den 2/7 Beinwert „auf Nachvollziehbarkeit“ zu prüfen und eine geringere Einschätzung mittels „neuem BGH-Urteil“ vorzunehmen. 

Bereits dieses Vorgehen der Muster A Versicherungs-AG spricht Bände. 

 

Die Muster A Versicherungs-AG unterliess damit erneut (mittlerweile grob versicherungsvertragswidrig) das nötige Anerkenntnis nach § 9 Nr. 1.1. AUB B18, und zahlte nicht binnen der 2-Wochenfrist des § 9 Nr. 2.1. AUB B18 die geschuldeten Leistungen aus.

 

13)

Mit erstaunlich „schneller“ gutachterlicher Stellungnahme vom 24.09.2016 kam Herrn Dr. med. R. des Instituts für RÄB (welches unstreitig wirtschaftlich abhängig von den Gutachteraufträgen der Versicherungswirtschaft ist!) erwartungsgemäß „pflichtbewußt“ und ohne ausreichende Begründung zu dem neuen (für die Unfallversicherung erfreulichen) Ergebnis, dass 

„dem eingeholten Gutachten (welchem? - Anmerkung des Unterzeichners) aus der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Munrau nicht gefolgt werden könne (warum? - Anmerkung des Unterzeichners).“

 

14)

Völlig widersprüchlich zu ihren bisherigen anerkennenden Erklärungen (vgl. insbesondere die Email der Muster A Versicherungs-AG vom 13.04.2015, Schreiben der Muster A Versicherungs-AG vom 27-04-2015 und vom 01.04.2016) und zu den vorliegenden Befunden und Gutachten stellt die Muster A Versicherungs-AG sodann mit Schreiben vom 28.09.2016 gegenüber unserer Partei ablehnend und vertragswidrig fest, dass „eine unfallbedingte Erst-Gesundheitsschädigung nicht gesichert sei.“

 

15)

Die Muster A Versicherungs-AG ist jedoch an ihre bisherigen Erklärungen und Verhaltensweisen gebunden. Zu keiner Zeit hatte sie bestritten, dass der Schulterschaden und der Knieschaden auf den Unfall vom 18.12.2013 zurückzuführen sind. Im Gegenteil, sie bestätigte zuvor sogar (im Einklang mit ihren eigenen Privatgutachten der Unfallklinik L.) eindeutig und mehrfach, dass die Unfallkausalität unstreitig vorliegt.

 

Zudem geht die neue und unfallkausalitätablehnende Einschätzung der Muster A Versicherungs-AG mit Schreiben vom 28.09.2016 auch inhaltlich fehl.

Denn der Erstversorger, Herr Dr. C. Musterarzt A, ist Sportmediziner. Unstreitig handelte es sich beim Unfall vom 18.12.2013 um einen Sportunfall mit Sportverletzung. Da eine Fraktur im Arm, der Schulter und im Bein ausgeschlossen werden konnte, war eine sofortige Notversorgung bzw. eine eilige ärztliche Behandlung nicht zwingend nötig gewesen; unsere damals beruflich stark eingespannte Partei hatte daher logischerweise zunächst versucht, die unfallbedingten Gesundheitsschäden konservativ zu behandeln; der Sportmediziner Hr. C. Dr. Musterarzt A wurde sodann Anfang des Jahres 2014 hinzugezogen, er war hierzu verständlicherweise der erste Ansprechpartner für unsere Partei.

 

Wir verweisen zudem auf beigefügte Unterlagen, wie folgt:

19.03.2014: Überweisung Dr. C. Musterarzt A

05.05.2014: Befund Dres. B., V. & Kollegen

26.05.2014: Befund Radiologie G.B.

07.07.2014: OP-Bericht Dres. B., V. & Kollegen

12.01.2015: Überweisung Dr. C. Musterarzt A

13.01.2015: Überweisung Dr. C. Musterarzt A

30.01.2015: Befund Radiologie G.B.

02.02.2015: Befund Klinikum G.B. GmbH

30.03.2015: OP-Bericht Klinikum G.B. GmbH

02.04.2015: Arztbrief Klinikum G.B. GmbH

12.10.2015: Arztbrief Klinikum G.B. GmbH

07.12.2015: Befund Dr. S.

 

Zudem steht für die Unfallkausalität auch Hr. Dr. C. Musterarzt A als sachverständiger Zeuge zur Verfügung.

 

B.) Würdigung

 

Aufgrund der Pflichtverletzungen der Muster A Versicherungs-AG machen wir hiermit die Ansprüche unserer Partei gemäß §§ 187, 178 VVG und gemäß §§ 280, 286 BGB (Verzug) gegen Ihre Gesellschaft geltend. Mit Versicherungsschein vom 26.06.2012 (Nachtrag 1) mit der Nr.: 00.842.953.N und dem Unfallversicherung XXXL-Schutz gemäß den im Versicherungsschein genannten AUB und Zusatzklauseln versprach Ihre Gesellschaft diverse Leistungen, insbesondere bzgl. der Versicherungssumme von EUR 117.000,00 (Grundsumme) und EUR 409.500,00 (350% Progression).

 

Bei einem solchen Unfall der hier versicherten Mandantin ist die Muster A Versicherungs-AG verpflichtet, die vereinbarten Leistungen zu erbringen. Ein Unfall liegt vor, da die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erlitt. 

Die Muster A Versicherungs-AG schuldet daher die für den Fall der Invalidität versprochenen Leistungen im vereinbarten Umfang, da die körperliche Leistungsfähigkeit unserer Partei unfallbedingt dauerhaft beeinträchtigt ist.

 

Der Schulterschaden wurde unfallchirurgisch und neurologisch gesamteingeschätzt mit dauerhaft mindestens 1/10 Armwert, der Knieschaden gesamteingeschätzt mit dauerhaft mindestens 2/7 Beinwert (Tendenz steigend!).

Hieraus folgt im Rahmen der Invaliditätserstbemessung:

mindestens 1/10 Armwert = mindestens 8% unfallbedingte Invalidität

mindestens 2/7 Beinwert = mindestens 23% unfallbedingte Invalidität

= mindestens 31% unfallbedingte Gesamtinvalidität (ohne Progression), vgl. Klausel 0651, Ziffer 2f (Zusammenrechnung)

 

Folglich bestehen insbesondere folgende Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag:

  1. Zahlung einer Invaliditätssumme von mindestens 31% (ohne Progression) = nach Progression = 24% + 28% (31% - 24% = 7% * 4 = 28%) = 52% (nach Progression) nach Klausel 0651 und 0763 = mindestens EUR 60.840,00
  2. Anerkenntnis der grundsätzlichen Leistungs-/Zahlungspflicht bzgl. Krankenhaus-Tagegeld nach Klausel 0731, Leistungshöhe steht noch nicht fest (Bewertung des diesbzgl. Anerkentnisses über § 3 ZPO: EUR 4.000,00); bzgl. Kostenerstattung für Haushaltshilfe (§ 4 Ziff. 9 AUB18, Bewertung des diesbzgl. Anerkentnisses über § 3 ZPO: EUR 4.000,00); bzgl. Ersatz für alle kosmetische Unfallfolgen (§ 4 Ziff. 10 AUB18, Bewertung des diesbzgl. Anerkentnisses über § 3 ZPO: EUR 10.000,00); bzgl. Unterstützung bei ReHa-Maßnahmen (§ 4 Ziff. 14 AUB18, Bewertung des diesbzgl. Anerkentnisses über § 3 ZPO: EUR 4.000,00); etc.

Namens und im Auftrag unserer Partei fordern wir hiermit Ihre Gesellschaft auf, bis spätestens zum 07.02.2017

  1. den Unfall im Sinne des § 187 VVG schriftlich anzuerkennen,
  2. auf die Einrede der Verjährung zu verzichten,
  3. eine Erstbemessungszahlung von EUR 60.840,00 zu leisten,
  4. sowie die RVG-Höchstgeschäftsgebühr (zzgl. 20,00 EUR Auslagen zzgl. 19% Umsatzsteuer) aus dem Gegenstandswert von mind. EUR 82.840,00 zu zahlen.

Mit freundlichen Grüßen

 

Michael Graf

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