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Arzthaftung wegen Mittagspause bei einer Risikogeburt

Ein Unterbrechen einer offensichtlichen Risikogeburt durch den zuständigen Arzt, um den Kreissaal zu verlassen und in die Mittagspause zu gehen, stellt einen groben Behandlungsfehler dar. So urteilte das Oberlandesgericht Hamm. 

 

Die Mutter des Klägers war stationär im Krankenhaus aufgenommen worden, da der errechnete Geburtstermin bereits 13 Tage überschritten war. Beklagt waren der Chefarzt und der Oberarzt der gynäkologischen Abteilung des Krankenhauses. Bei der Geburt selbst war jedoch nur der Oberarzt anwesend. 

 

Mit der Gabe von Prostaglandin und Syntocinon wurde begonnen, die Geburt des Klägers einzuleiten. Wenige Stunden später zeigten sich auf dem CTG mögliche Nabelschnurkomplikationen. Die Ärzte versuchten eine sogenannte „Parazervikalblockade“ - eine Injektion zur Schmerzausschaltung - durchzuführen. Sie brachen dies jedoch ab, nachdem der Beklagte eine mangelhafte Blutversorgung der Gebärmutter vermutete. 15 Minuten nach dem Abbruch der Schmerzausschaltung verabschiedete sich der beklagte Gynäkologe in die Mittagspause, verließ den Kreissaal und ging nach Hause zum Mittagessen. 

Noch während der Mittagspause des Beklagten kam es bei der Mutter des Klägers zum Blasensprung. Dabei trat grünes Fruchtwasser aus. Die zuständigen Hebammen riefen den Beklagten zurück in den Kreissaal. Zwischen den Parteien ist streitig, wann genau der Beklagte wieder anwesend war. 

 

In den Patientenakten der Mutter des Klägers sind in der Folgezeit eine „schwere Bradykardie“ (langsame Herztätigkeit) und eine „Tokolyse“ (Hemmung der Wehentätigkeit) dokumentiert. Eine Stunde, nachdem der Beklagte die Behandlung für seine Mittagspause unterbrochen hatte, kam der Kläger blau-asphyktisch auf die Welt. Sofort musste der Neugeborene auf die Kinderklinik verlegt, und dort maschinell beatmet werden. Eine schwere Epilepsie, spastische Zerebalparese und eine starke Verzögerung der geistigen und körperlichen Entwicklung sind die Schäden, unter denen der Kläger bis heute leidet. 

Der Kläger verlangte mit seiner Klage ein Schmerzensgeld in Höhe von damals 240 000 DM sowie die Feststellung der Ersatzpflicht aller ihm noch entstehenden immateriellen Schäden in der Zukunft, zuzüglich einer Schadensrente für die ihm bereits entstandenen und noch entstehenden materiellen Schäden. 

 

Das Oberlandesgericht schloss sich dem Urteil des Landgerichts im wesentlichen an. Die von den Beklagten eingelegte Berufung blieb erfolglos. 

 

Die Behandlung der Mutter in der Gynäkologie sei dem OLG nach durch schwerwiegende Fehler geprägt gewesen. Viele dieser Fehler könnten Ursache für die Geburtsschäden sein, unter denen der Kläger ein Leben lang leiden wird. 

Insgesamt sei schon früh erkennbar gewesen, dass die Geburt des Klägers als sogenannte „Risikogeburt“ zu werten gewesen sei. Insbesondere ein weites Entfernen des Geburtsleiters vom Kreissaal sei schon deshalb nicht geboten gewesen, da sich jederzeit die Notwendigkeit für eine sofortige sectio Entbindung ergeben habe können.

Die gleichzeitige Gabe von Prostaglandin und Synctocinon würde ferner nicht dem ärztlichen Standard entsprechen, sondern die Geburt auf eine sehr gefährliche Art und Weise einleiten. Dem Sachverständigen des OLG nach sei zudem unverständlich, dass eine zweite Gabe von Prostaglandin erfolgte, obwohl zu dem Zeitpunkt bereits Anzeichen für die Sauerstoffunterversorgung des Klägers vorlagen. 

Die Wehen der Mutter des Klägers seien außerdem deutlich zu spät wieder gehemmt worden. Eine frühere Gabe von wehenhemmenden Mitteln hätte das Fortschreiten der Nabelschnurkomplikation verhindern können. Dass diese Maßnahme erst sehr spät erfolgte, stelle einen groben Behandlungsfehler dar. 

 

Auch ordnete das OLG das Verhalten des Beklagten nach dem Blasensprung als „aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich, und eindeutig gegen gesicherte und bewährte medizinische Erkenntnisse und Erfahrungen verstoßend“ ein (Begriff des „groben Behandlungsfehlers“, BGH MedR 92, 214). 

 

Das OLG sah die geltend gemachten Ansprüche des Klägers wegen der schwerwiegenden Behandlungsfehler auch der Höhe nach als begründet an. Die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes rechtfertigte die geltend gemachte Summe von 240.000 DM. 

Nach: VersR 1994, 730; beck online 

 

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Gabriela Johannes - Experte für Arzthaftung, Behandlungsfehler, Unfallversicherung und Berufsunfähigkeit in Freiburg, Karlsruhe und Offenburg.