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Ist die gesetzliche Regelung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld notwendig?

Hinterbliebenengeld, Schmerzensgeld, Schockschaden, Angehörigenschmerzensgeld

Aufgrund des Gesetzes zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld vom 17.07.2017 (BGBl. I S. 2421), in Kraft getreten am 22.07.2017, gibt es nunmehr das Hinterbliebenengeld. § 844 Abs. 3 BGB regelt: "Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war."

 

Dies wirft auch im Medizinrecht, Arzthaftungsrecht und Versicherungsrecht diverse Fragen auf. Wie stehen die Begriffe "Hinterbliebenengeld", "Schmerzensgeld", "Schockschaden", und "Angehörigenschmerzensgeld" zueinander?

 

Als Hinterbliebener eines nahestehenden Angehörigen kämpfen beinahe alle gegen die tiefe Trauer, welche vorwiegend gesundheitliche Konsequenzen mit sich bringt. Bisher ist im deutschen Gesetzbuch kein Gesetz über den Anspruch auf Hinterbliebenengeld zu finden. Der Gesetzgeber hat dem Anspruch auf Schadensersatz beziehungsweise Geldersatz enge Grenzen gesetzt. Es ist ein lang umstrittenes Thema mit positiven und negativen Argumenten. Definiert ist das Hinterbliebenengeld als eine Art Schmerzensgeld für einen nahen Angehörigen, wie z.B den Ehegatten, die Eltern oder die Kinder.  Das Hinderbliebenengeld soll als Entschädigung beim Tod oder bei schweren Verletzungen, um das seelische Leid zu lindern, dienen. In vielen europäischen Ländern wird der Anspruch auf Hinterbliebenengeld gewährleistet. In Deutschland jedoch nicht. Hier wurde der Anschluss zur internationalen Entwicklung versäumt. Beim privaten Schadensersatz tritt das deutsche Recht sehr restriktiv auf. Allerdings bestehen in Deutschland Ansprüche, wenn ein echter Schockschaden eingetreten ist. 

 

Unter einem Schockschaden versteht man die seelische Erschütterung durch das Miterleben eines Unfalls, bei dem ein Angehöriger getötet oder so schwer verletzt wird, dass er alsbald verstirbt.Ein echter Schockschaden kann zu traumatischen Neurosen, Psychosen oder Depressionen führen.  Hierzu zählt man Angstzustände, schreckhafte Träume oder Panikattacken, die weitere massiven Folgen mit sich bringen können, wie z.B. Verschlimmerungen eines Herzerleidens oder Schlaganfälle. Der Anlass zu dem Schock muss verständlich erscheinen. Jedoch dürfen in Fällen des unmittelbaren Miterlebens des Todes, die Anforderungen an die Annahme einer Gesundheitsverletzung nicht überspannt werden. Legen so womöglich Eltern dar, dass sie infolge der Benachrichtigung über den Tod des einzigen Sohnes mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen haben, reicht dies nicht aus. 

 

Es unterscheidet sich also, ob ein echter Schockzustand vorliegt, wenn die direkte Beteiligung an dem Unfall bzw. das Miterleben des Unfalls oder sich lediglich auf den Erhalt einer Unfallnachricht beschränkt.  

 

Das OLG Koblenz kam z.B. zu dem Ergebnis, dass der Tod eines neun Jahre alten Jungen durch Ertrinken im Freibad weder bei den Eltern noch bei der Schwester des Jungen bewirkt hatte, dass die Schwelle zum Gesundheitsschaden überschritten wurde. Schwere Träume, psychosomatische Störungen bzw. Konzentrationsschwäche erreichten noch keinen Krankheitswert, der einen Ausgleich durch Schmerzensgeld möglich mache. 

 

Einen Sonderfall stellte der Tod einer Bürgerin der USA dar, die vor ihrer Familie von einem Zug überrollt wurde. Der Unfall löste bei dem Ehemann und den drei Kindern einen Schock aus. Unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von 50 % sprach das OLG Frankfurt 2002 dem Ehemann ein Schmerzensgeld von 15.000,00 € zu, zwei Kinder erhielten je 2.500,00 €, ein Junge, der infolge des Ereignisses alkohol- und drogenabhängig geworden war, erhielt 5.000,00 €. 

Diese unbefriedigte Situation führte zur Überlegung, ein Angehörigenschmerzensgeld auch für die Fälle zu gewähren, in denen Angehörige unter dem Verlust leiden, aber noch keinen schweren Schockschaden auslösten. 

 

Die Diskussion um ein Angehörigenschmerzensgeld nahm ihren Lauf. Nachdem die Forderung im November 2013 in den Berliner Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode eingeführt wurde, hieß es: „Menschen, die einen nahen Angehörigen durch Verschulden eines Dritten verloren haben, räumen wir als Zeichen der Anerkennung ihres seelischen Leids einen eigenständigen Schmerzensgeldanspruch ein, der sich in das deutsche System des Schadensrechts einführt.“

„Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugeführte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonders persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.“

 

Ist der Verlust einer nahestehenden Person und dem damit verbundenen Schmerz überhaupt bemessbar? Nach aktueller Rechtssprechung steht nur dann ein Schmerzensgeldanspruch gegen den Verantwortlichen zu, wenn eine sogenannte Gesundheitsbeschädigung erlitten wird. 

 

So eine Gesundheitsbeschädigung liegt erst dann vor, wenn der empfundene Schmerz und die Trauer medizinisch begründet wird und über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen hinausgehen. Abgesehen von der Gesundheitsschädigung kann der Hinterbliebene vom Verantwortlichen eine Entschädigung für das seelische Leid fordern. Auf diese Weise, soll das Leid gelindert werden. 

 

Auf die Frage, ob das Hinterbliebenengeld allein im Todesfall oder auch bei schwersten Verletzungen gewährleistet werden soll, gibt es mittlerweile eine kleine Lösung. Aufgrund der Abgrenzungsschwierigkeiten werden drastische Verletzungen, welche nicht zum Tod führen, ausgeschlossen. Das Hinterbliebenengeld soll in diesem Sinne ausschließlich bei einer fremdverursachten Tötung gewährt werden. Sicherlich ist der Grund für diese „kleine Lösung“ der § 253 Abs. 2 BGB. Dieser besagt, dass wegen Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit und der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz in Geld gefordert werden kann. Sprich, die überlebende schwerst geschädigte Person erhält auch Anspruch auf Entschädigung. 

 

Anspruch gegen den Anspruchsgegner besteht nur dann, wenn ausnahmslos alle Voraussetzungen der unerlaubten Handlung vorliegen. Vorausgesetzt wird auch, dass durch eine unerlaubte Handlung die Tötung eines Menschen zu Stande kam. Anspruchsgegner ist die Person, welche die Tötung verursacht hat. Schwierigkeiten bei der Feststellung der Kausalität treten auf, sofern der Todeszeitpunkt später eintritt, als das sich der Unfall ereignet. 

 

Bezüglich unserem Rechtsgebiet dem Medizinrecht ist auch hier ganz klar interessant zu erfahren, ob auch der Anspruch auf Hinterbliebenengeld besteht, liege ein ärztlicher Behandlungsfehler vor? Denn auch bei ärztlichen Behandlungsfehler kommt es bedauerlicherweise in Einzelfälle zum Tod des Patienten. In den meisten Fällen liegt im Medizinrecht neben dem vertraglichen Schadensersatzanspruch auch die Voraussetzung für die unerlaubte Handlung vor. 

 

Um den Anspruch auf Hinterbliebenengeld zu erhalten, muss man als naher Angehöriger jedoch auch gegebenenfalls vor Gericht darlegen und möglicherweise das „besonders nahe Näheverhältnis“ beweisen. Es sollte z.B. nicht denjenigen zustehen, die zwar als naher Angehöriger gelten, aber eher weniger Kontakt zum Verstorbenen pflegten. 

 

Als Hinterbliebener stellt sich natürlich auch die Frage, ob die Höhe des Betrages geregelt ist? Für die Bemessung der Höhe und der Obergrenzen, werden im Rahmen der Schockschadensrechtssprechung die zugesprochenen Beträge als Anhaltspunkte verwendet. 

 

Gewiss spielen für das Hinterbliebenengeld auch andere Faktoren eine Rolle.Die Umstände der Tat bestimmen die Höhe mit. Es kommt auf die Schwere der Schuld darauf an, die Mitverantwortung des Getöteten, die wirtschaftliche Auswirkung für die Angehörigen, das das Regulierungsverhalten des Zahlungspflichtigen und die Betriebsgefahr und die Verjährung.  Man hat sich darauf geeinigt, dass die Höhe des Hinderbliebenengeldes von den Gerichten durch das Ermessen geregelt wird. 

 

Der Anspruch auf Hinterbliebenengeld ist kein Schmerzensgeld! Es soll keinen Gesundheitschaden ausgleichen. Das Hinterbliebenengeld soll helfen, Trauer und seelische Leid zu lindern. Das Hinterbliebenengeld soll als eine eigene selbstständige Anspruchsgrundlage geschaffen werden. Nur so, lassen sich die im Gesetzgebungsverfahren geäußerten Vorstellungen zur Höhe des Hinterbliebenengeldes überhaupt nachvollziehen.

 

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Gabriela Johannes - Experte für Arzthaftung, Behandlungsfehler, Unfallversicherung und Berufsunfähigkeit in Freiburg, Karlsruhe und Offenburg.