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Blog: Geburtsschaden und Arzthaftung LG Gera, Az. 2 O 15/05

Geburtsschaden und seine rechtliche Bewertung nach LG Gera, Az. 2 O 15/05

 

ZUM FALL:

 

Im Jahr 2009 mussten sich zunächst das LG Gera (Aktenzeichen: 2 O 15/05) und im Anschluss das OLG Jena (Aktenzeichen: 4 U 459/09) mit der Frage auseinandersetzen, welche Ansprüche dem Geschädigten zustehen, wenn eine medizinisch dringend gebotene Notsectio erst mit 30 Minuten Verzögerung durchgeführt wird und dadurch ein Geburtsschaden entsteht.

 

Sachverhalt

Die Mutter des Klägers wurde am 25. März 1993 im Endstadium ihrer Schwangerschaft zur Entbindung bei der Beklagten mit regelmäßigen Wehen gegen 17:00 Uhr aufgenommen. 20 Minuten später fielen unerwartet die kindlichen Herztöne ab. Nach einer Ultraschallkontrolle wurde eine fetale Bradykardie festgestellt, sodass die Durchführung einer Tokolyse angeordnet wurde. Zwischen 17:28 Uhr und 17:30 Uhr stelle man fest, dass eine Notsectio notwendig wird. Erst um 17:52 Uhr erfolgte die Narkose, sodass der Kläger erst um 17:55 Uhr entbunden wurde. Im Anschluss daran wurde der Kläger auf die Kinderintensivstation verlegt. Dort verblieb er beinahe ein halbes Jahr bis er erstmals am 3. September 1993 mit einer Atemmaske nach Hause entlassen wurde.

Der Kläger ist von Geburt an schwerstbehindert und muss deshalb umfassend gepflegt und betreut werden. Zum Zeitpunkt der Entscheidung liegt der Kläger im Wachkoma. Er ist ferner blind und an ein Atemüberwachungsgerät angeschlossen, sodass er dauerhaft auf fremde Hilfe angewiesen ist.

Infolgedessen verlangte der Kläger Schadensersatz und Schmerzensgeld. Der Schadensersatz setzt sich vor allem aus 91.252,91 € zusammen, die der Mutter des Klägers für dessen Pflege entstanden sind.

 

Entscheidung des LG

Das Landgericht gab der Klage statt und sprach dem Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 600.000 € zu. Weiterhin wurde dem Kläger ein Anspruch auf Erstattung aller materieller und immaterieller Schäden zugesprochen, die seit seiner Geburt entstanden sind und in Zukunft noch entstehen werden. Dabei bejahte es Ansprüche aus §§ 823 Abs. 1, 847 BGB und aus der Verletzung der Pflichten aus dem geschlossenen Behandlungsvertrag.

Entscheidender Punkt war hier die Annahme eines Behandlungsfehlers. Ein solcher liegt vor, wenn gegen gesicherte medizinische Erkenntnisse und bewährte ärztliche Regeln verstoßen wurde und daraus ein Fehler resultiert, der aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint. Dies bejahte das LG Gera mit Blick auf die Zeit, die zwischen der Entscheidung zur Notsectio und der tatsächlichen Entbindung lag. Denn der höchste tolerierbare Wert für diese sog. Entscheidungs-Entbindungs-Zeit (E-E-Zeit) liegt bei 20 Minuten. Hier wurde die Zeit um bis zu zehn Minuten bis zur endgültigen Entbindung überschritten, wodurch es zu einer starken Sauerstoffunterversorgung des Klägers kam, welche zu den Behinderungen führte. Damit ging das LG Gera von einem groben Behandlungsfehler aus.

 

Rechtliche Besonderheit: keine Verjährung

Eine rechtliche Besonderheit bietet der vorliegende Fall, wenn man bedenkt, dass der Behandlungsfehler bereits im Jahr 1993 geschah und das Gericht erst im Jahr 2009 entschieden hat. Normalerweise müssten derartige Ansprüche nämlich schon verjährt sein. Entscheidend für den Beginn der Verjährungsfrist sind die Kenntnisse der Umstände des Anspruchs. Zwar wusste die Mutter des Klägers hier bereits im Jahr 1993 von der rund 30-minütigen E-E-Zeit, sie wurde aber erst im Sommer des Jahres 2004 durch den Hinweis anderer Eltern mit behinderten Kindern darauf aufmerksam, dass die Behinderung möglicherweise aufgrund eines Fehlers bei der Geburt entstanden sein könnte. Dies ließ das LG Gera genügen, um die Ingangsetzung der Verjährungsfrist bis dahin zu verneinen.

 

Rechtliche Besonderheit: Zinsen

Einen weiteren interessanten Aspekt bietet der Blick auf die zugesprochenen Zinsen. Denn obwohl die schwersten Behinderungen bereits 1993 eintraten, wurden Zinsen auf das Schmerzensgeld und auf den Schadensersatzanspruch erst ab 2005 zuerkannt. Dies liegt, ähnlich wie bei der Verjährung, daran, dass sich der Verdacht der Mutter des Klägers auf ein ärztliches Fehlverhalten erst Ende 2004 bestätigte. Denn rechtlich kommt eine Verzinsung von Anfang an nach § 849 BGB nur bei Sachschäden und nicht bei Personenschäden in Betracht.

 

Berufung zum OLG

Gegen dieses Urteil des LG Gera legte die Beklagte Berufung ein, sodass sich auch das OLG Jena mit der Sache auseinandersetzen musste. Das Oberlandesgericht wies jedoch in einem Beschluss darauf hin, dass es beabsichtigt die Berufung als unbegründet zurückzuweisen und es der Beklagten deshalb empfiehlt, die Berufung zurückzunehmen. Damit blieb es insoweit beim erstinstanzlichen Urteil des LG Gera.

Fazit

Diese beiden Entscheidungen zeigen, dass es sich unter Umständen auch lange Zeit nach der Geburt noch lohnen kann, gegen das damals behandelnde Krankenhaus vorzugehen. Denn bei den meisten Fällen im Medizinrecht obliegt es den Beklagten, darzulegen und zu beweisen, dass der Geschädigte, oder seine Eltern als gesetzliche Vertreter, alle notwendigen Kenntnisse im Zusammenhang mit dem Behandlungsfehler bereits erlangt hatten.

Um die Erfolgsaussichten insoweit genauer präzisieren zu können, empfiehlt es sich in jedem Fall, einen spezialisierten Anwalt zu kontaktieren.

Patientenanwalt RA Michael Graf

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Hinweis: Bei dem hier vorgestellten Fall handelt es sich u.U. um einen realen Fall, ggf. sogar aus unserer Kanzlei. Es werden bei solchen dann aber die Namen aller Beteiligten, sowie die Datumsangaben, die Zahlen und die sonstigen genannten Beträge abgeändert und/oder abgekürzt, um den Fall dadurch zu anonymisieren.

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